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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Motor ab und riß die Tür auf.
    Vier Männer stürzten auf den Wagen, so schnell, wie sich Jagdfalken auf ein Kaninchen fallen lassen. Geübte Boxer waren es, denn die beiden Feldwebel erhielten einen gut gezielten Hieb gegen das Kinn, so wunderbar geschlagen, daß sie lautlos umsanken und die Besinnung verloren.
    Das war die einzige Tat, die gelang. Bevor sie Oberleutnant Wolter überwältigen konnten, der den völlig Erstarrten spielte, aber den Finger an den Abzugsbügel seiner Pistole gelegt hatte, wurde es um den Wagen herum lebendig, man hörte Keuchen und Stöhnen, Schläge klatschten dumpf durch die Finsternis, ein Körper fiel gegen den Wagen, über die Straße wälzten sich zwei Leiberknäuel, jemand fluchte russisch und wimmerte dann auf, und plötzlich war die Straße hell erleuchtet, ein Militärlastwagen raste heran und stoppte mit kreischenden Bremsen vor den noch immer miteinander ringenden Menschen.
    Drüben am Wachturm ließ Jassenskij sein Nachtglas sinken. Als die Schweinwerfer aufflammten, wußte er, daß alles verloren war. Er senkte den Kopf und lehnte sich gegen die Stützen des Turmes. Der Volksarmee-Hauptmann nagte an der Unterlippe.
    »Das ist verraden wor'n«, sagte er heiser. »Nu gucke mal da, wie die loofen.«
    Jassenskij ging zurück zu dem dunklen Bauernhaus. Er war jetzt der einsamste Mensch auf der Welt. Ihn interessierte nicht mehr, was jetzt an der Grenze geschah. Seine Niederlage war so vollkommen, daß ihm jeder Atemzug in der Brust schmerzte.
    Nicht nur Wolter war für immer verloren, auch der minenfreie Streifen war nun bekannt. Selten war ein Mann glückloser zurückgekehrt.
    Und plötzlich blieb er stehen, wie von einer Faust zurückgestoßen. Von drüben dröhnte eine Stimme durch ein Elektromegaphon.
    »Leben Sie wohl, Oberst Safon Kusmajewitsch Jassenskij! Dimitri Sotowskij bittet Sie, für ihn das schöne Tbilisi zu grüßen.«
    Jassenskij heulte innerlich wie ein angeschossener Wolf.
    Diese Schmach, dachte er. Dieser Spott! Ist jemals ein Mensch so tief gedemütigt worden?
    Er ging weiter, mit hängenden Schultern, und es war bezeichnend, daß niemand ihm folgte, nicht einmal der sächsische Hauptmann, der »Freundschaft! Freundschaft!« geschrien hatte, als Jassenskij eintraf.
    Ratten, alles Ratten, dachte er bitter. Und für sie soll man seinen Kopf hinhalten?
    Er spuckte aus, und danach wurde es ihm viel wohler.
    Auf der anderen Seite wurden vier Männer in Handschellen in den Militärlastwagen geschoben. Sie hatten verquollene, zerschlagene Gesichter, denn sie hatten sich gewehrt wie eingekreiste Bären.
    »Ein guter Fang«, sagte zwei Tage später der General in Bonn und bot Wolfgang jovial eine Zigarette an. »Nur wieder ein Schlag ins Wasser. Haben alle vier den diplomatischen Status. Sind schon auf dem Rückweg nach Moskau. Und die Botschaft reagiert so kalt, als stehe sie auf dem Nordpol.«
    Auch Jassenskij flog von Meiningen über Berlin nach Moskau zurück. Genau wie bei Borokin war es: Nie wieder hörte man etwas von ihm. Rußland ist ein weites Land, es hat genug Platz für einen kleinen, glücklosen Menschen.
    *
    Heiraten ist, entgegen der Ansicht alter Ehemänner, nicht nur ein schöner Brauch, sondern in erster Linie ein Herzensbedürfnis und eine öffentliche Bestätigung, daß man für ein ganzes Leben zusammenbleiben will. Zumindest hat man am Tage der Hochzeit diese Absicht und tut sie mit seinem Ja in bester Überzeugung kund.
    Bevor man aber zu dieser öffentlichen Meinungsäußerung kommt, organisieren die Behörden ein kleines Hürdenlaufen – nicht, um den Heiratswilligen menschenfreundlich Zeit zum Nachdenken zu geben, sondern um zu beweisen, daß es keinen Schritt im Leben gibt, der nicht aktenkundig und mit Schwierigkeiten verbunden ist. Zur Zeit Moses schickte Gott als Plage die Heuschrecken, wir Modernen haben statt dessen die Verwaltung. Heuschrecken fliegen weiter, Verwaltungen bleiben und vermehren sich sogar. Wie herrlich waren die Plagen des Altertums!
    Mit Wolfgang Wolter und Irene Brandes gab es keinerlei Schwierigkeiten; sie hatten alles, was ein richtiger Mensch braucht, um überhaupt Mensch zu sein: Geburtsurkunde, Taufschein, Impfschein, Heiratszeugnis der Eltern. Ein rundes, glattes, beamtenwohlgefälliges Leben. Aber Dimitri und Bettina … das war ein Kreuzweg, den Karl Wolter mit dem Dickschädel eines Kolka Iwanowitsch zu gehen begann.
    »Es geht nicht!« sagte man ihm, als er Dimitri in das Amtszimmer schob und
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