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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stiften und zu sehen, wie wir reagieren, hast du uns einen Dienst erwiesen, den wir dir gar nicht genug danken können.«
    »Das ist ein Irrtum«, sagte Dimitri und sah Wolfgang dabei ernst an. »Ich will keinen Dienst erweisen. Mich kümmert nicht die Politik. Ich will nur dich retten … weil du mein Bruder geworden bist. Es geht schlicht um dein Leben, um weiter nichts.«
    Die Experten des MAD dachten allerdings anders, und sie taten gut daran. Unbemerkt von allen Einwohnern, begann an der Zonengrenze ein gefährliches, ein bitterernstes Theater. Darsteller waren Wolfgang Wolter und seine beiden Feldwebel mit ihrem kleinen grünen Wagen. Den Chor bildeten die als Waldarbeiter verkleideten Soldaten. Und die Gegenspieler saßen irgendwo entlang des Todesstreifens im Wald. Man hatte sie noch nicht entdeckt, denn alle Streifen wurden eingestellt, um die Leute Jassenskijs in völlige Sicherheit zu wiegen.
    Als sei er wirklich ahnungslos, fuhr Wolter mit seinen Begleitern seine vorgeschriebene Strecke ab. Einige Kontaktmänner gaben kurze Funkberichte zu dem Bauernhaus auf der anderen Seite, wo Jassenskij ungeduldig der großen Stunde entgegenfieberte.
    »Alles in Ordnung, Genosse Oberst«, sagte der Abschnittskommandeur der Grenztruppe, ein sächsischer Hauptmann.
    »Wir können uns gratulieren.«
    In der Nacht stand Jassenskij selbst im Todesstreifen und überwachte das Herausziehen der Stacheldrahtpfähle. Bis zum vordersten Wachturm war ein kleiner geschlossener Lastwagen gefahren. Mit ihm sollten Wolter und seine beiden Feldwebel sofort nach Meiningen gebracht werden.
    »Es kann nicht mißlingen«, sagte Jassenskij immer wieder. »Sie wissen nichts von der minenlosen Strecke. Wir werden den Kapitalisten ein Wunder vormachen.«
    »Eene scheene Sache, Genosse Oberst. Die wär'n gucken …«, sagte der sächsische Hauptmann. Er war stolz, mit dieser Aufgabe betraut worden zu sein.
    Ab Mitternacht rollte das Schauspiel wie in einer vorzüglichen Inszenierung ab.
    Oberleutnant Wolter kam in das Gebiet, von dem aus er entführt werden sollte. Und siehe da … zur größten Verblüffung der MAD-Männer, die im Wald in Deckung lagen, saßen plötzlich vier scheinbar harmlose Zivilisten neben der Straße, die durch den Wald entlang der Zonengrenze führte. Woher sie plötzlich kamen, hatte keiner gesehen. Wie müde, verirrte Wanderer saßen sie auf einem Baumstamm, aßen hartgekochte Eier und tranken Tee aus einer Thermosflasche.
    »Von den Waffen wird nur im Notwehrfalle Gebrauch gemacht!« hatte der wichtigste Befehl geheißen, aber Wolfgang Wolter umkrampfte doch den Griff seiner Pistole in der Tasche, als sich der Wagen den letzten Metern näherte.
    Es war eine normale Nacht von durchschnittlicher Helligkeit, schon etwas kühl und herbstlich. Die Wachtürme auf der Zonenseite ragten dunkel in den Himmel, als seien sie unbewohnt. Auch der Turm, unter dem Oberst Jassenskij wartete, lag in völligem Schweigen.
    »Da gommt er«, flüsterte der Hauptmann der Volksarmee und zeigte zum Wald. Ein Lichtstreifen kroch über die Straße, schwach vernahm man das Brummen des Motors. Oberst Jassenskij nickte. Er schwitzte trotz der Nachtkühle, und immer wieder mußte er die Okulare seines Nachtglases wischen, weil sie beschlugen.
    »Gleich gommt der Gnall!« flüsterte der Hauptmann erregt. Für einen Mann aus Pirna an der Elbe ist so eine Nacht ein unvergeßliches Erlebnis.
    Oberst Jassenskij verfluchte den Mann an seiner Seite. Jetzt hätte er allein sein müssen, um diese Minuten zu genießen.
    Die vier Männer auf dem Baumstamm legten ihre Thermosflaschen ins Gras, als sie den Wagen von weitem kommen sahen. Dann gingen zwei auf die andere Straßenseite, zwei blieben am Baumstamm stehen, und zwischen ihren Händen hielten sie nun ein dünnes Nylonseil, strafften es und spannten es in Brusthöhe über die Straße.
    »Eine Sauerei!« sagte der Hauptmann, der mit drei ›Waldarbeitern‹ zehn Meter seitlich der vier Männer lag. »Die im Wagen sehen das dünne Seil nicht. Die Schrecksekunde, wenn sie dagegenfedern, nutzen die Burschen aus und überwältigen sie. Ein verrückt einfacher Anhalterplan.« Was dann geschah, war keineswegs romantisch oder aufregend. Es hatte nichts von der Dramatik überspitzter Agentenfilme oder der sprudelnden Phantasie von Romanschreibern. Die Wirklichkeit ist trocken und einfach logisch.
    Oberleutnant Wolter prallte gegen das straffe Nylonseil. »Scheiße!« brüllte der Feldwebel am Steuer, würgte
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