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Begegnung in Tiflis

Begegnung in Tiflis

Titel: Begegnung in Tiflis
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Ostzone ein Kahlschlag von hundert Metern Breite als Schußfeld gerodet war. An den Stacheldrahtzäunen hingen in Abständen von fünfzig Metern Schilder: Achtung! Lebensgefahr! Minen! Aber diese Schilder waren nur eine Tarnung. Gerade in diesem Todesstreifen lag nicht eine einzige Mine. Auch waren die Pfähle des Stacheldrahtes nicht fest in den Boden gerammt, sondern steckten in unsichtbaren Buchsen, so daß man den Zaun einfach herausheben konnte und gefahrlos hinüberkam auf westdeutsches Gebiet. An dieser Stelle waren bisher neunundvierzig Agenten mit sowjetischem Propagandamaterial über die Grenze gekommen. Männer und Frauen, bepackt mit Flugblättern, Broschüren, Aufrufen, Falschgeld und insbesondere Magazinen für die jungen Bundeswehrsoldaten.
    Jassenskij tippte mit dem braunen Finger immer wieder auf diese Stelle der Karte. »Wir wissen, daß Wolter die Grenze nachts inspiziert, um einen günstigen Ort für die Aufstellung eines der fahrbaren Propagandasender zu suchen. Er fährt mit zwei Feldwebeln als Begleitung in einem grünen Volkswagen. Am Freitag wird er hier eintreffen. Es ist eine Lappalie, ihn im Wald aus dem Wagen zu holen und hinüber in die DDR zu schaffen. Er wird einfach verschwunden sein, und man wird sich die Köpfe darüber zerbrechen, am Zaun stehen, hinüber auf das Minenfeld starren und nicht verstehen können, was hier passiert ist.« Jassenskij sah seine Mitarbeiter mit dem Ausdruck unterdrückten Stolzes an. »Sagte ich nicht, es ist so einfach wie Kascha essen? Noch Fragen, Genossen?«
    Man hatte keine Fragen mehr. Es war wirklich alles so klar, wie weiß einfach weiß ist und nicht rot.
    »Dann an die Arbeit!« sagte Jassenskij fröhlich. »Kleine Nadelstiche in den Bauch sind wirksamer als grobe Ohrfeigen. Und Wolter wird ein besonders gut sitzender Stich sein.«
    Es lief alles wie ein Uhrwerk ab.
    Mit einem unauffälligen Privatwagen fuhr Jassenskij über die Autobahn und betrat bei Herleshausen das Gebiet der Zone. Dort wurde er von zwei sowjetischen Majoren mit großer Ehrfurcht begrüßt, denn Jassenskij flog der Ruf voraus, ein Abkömmling vom Schwanzhaar des Satans zu sein. Ohne Aufenthalte, nur eine Tasse Tee trank er, fuhr er weiter nach Meiningen und kehrte von dort an die Grenze zurück, an den hundert Meter breiten Todesstreifen, der hier nur eine Attrappe war. In einem Bauernhaus, das man beschlagnahmt hatte und in dem der Abschnittskommandant der Grenztruppe wohnte, stieg Jassenskij ab und lächelte dünn, als die deutschen Grenzsoldaten ihn begeistert mit »Freundschaft! Freundschaft!« begrüßten und in die Hände klatschten.
    Sklavenvolk, dachte Jassenskij angewidert. Ihre Väter haben noch »Heil! Heil!« gebrüllt. Und ihre Söhne schreien vielleicht »Amerika! Amerika!«, was der Himmel und der Kommunismus verhüten mögen. Er legte sich hin, schlief zehn Stunden und inspizierte dann die Grenze. Er war danach sehr zufrieden. Blinkzeichen aus dem dichten westdeutschen Wald sagten ihm, daß seine Mitarbeiter zur Stelle waren.
    Oberleutnant Wolfgang Wolter konnte kommen.
    *
    In Göttingen waren der Rückkehr Dimitris aufregende Tage gefolgt. Nicht nur Agnes Wolter und viele gute Bekannte begrüßten Dimitri, auch die Presse war wieder da – keiner wußte, woher die Journalisten die Informationen hatten –, und Karl Wolter hatte alle Grobheiten aufzubieten, um auch diesmal sein Familienleben vor Tatsachenberichten und Bildreportagen zu retten. Dann kamen die Behörden. Als erste trafen drei Offiziere aus Bonn ein, um Dimitri in aller Freundlichkeit zu verhören und dann etwas verwirrt abzufahren.
    »Ja«, sagte Dimitri nämlich, »ich bin Kommunist. Warum soll ich etwas anderes sein, ich kenne ja nichts anderes. Nein, ich weiß nichts, was den Westen interessieren könnte. Ich war Angestellter des Ölkombinats. Wissen bei Ihnen die Angestellten etwa die Geheimnisse der Betriebsleitung? Ja, ich will in Deutschland bleiben, weil ich Bettina liebe und heirate. Nein, ich stelle mich nicht irgendeiner politischen Organisation zur Verfügung. Politik ist ein Verbrechen; das ist das einzige, was ich jetzt erkannt habe. Man sollte es allen Menschen sagen: Lebt als Freunde und jagt die weg, die immer behaupten, die anderen hätten unrecht.«
    Man sieht, es waren Ansichten, die so fremdartig waren wie etwa die Liebe der Tataren zu saurer Eselsmilch. »Man wird noch viel an ihm erziehen müssen, lieber Wolter«, sagte der die Untersuchung leitende Hauptmann aus Bonn
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