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Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Titel: Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
Autoren: Lucy Silag
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der mir ein Leben in Paris verbaut hatte: M. Marquet.
    Annabel verdrehte die Augen. »Hoffen wir mal besser, dass er wirklich nur bewusstlos war«, sagte sie und bohrte damit direkt in der Wunde. »Schließlich haben wir uns ja nicht mal die Mühe gemacht, nachzusehen, ob mit dem Typ alles in Ordnung ist.«
    Darauf erwiderte ich nichts. Mir war fürchterlich zumute und ich wollte nur eins: weg aus Rouen, je früher, desto besser.
    »Cherbourg«, verkündete Annabel zu guter Letzt. »In fünf Minuten geht ein Zug.«
    »Cherbourg?«, wiederholte ich.
    »Ja, klingt das nicht romantisch? Wie in diesem alten Film? Mit den Regenschirmen?«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete. Aber das war mir auch egal. »Gut. Wann genau fährt der Zug noch mal?«
    * * *
    Cherbourg ist eine Kleinstadt an der äußersten Spitze einer französischen Halbinsel, die in Richtung der englischen Küste ins Meer hineinragt. Vom vielen Wasser ringsherum, vom Hafen und von den Kanälen, die sich in die alten Straßen hineinfräsen, wirkt die Stadt nass und klamm. An Cherbourg ist einfach alles kühl und feucht, von den Klamotten im Second-Hand-Laden bis hin zu den Dielen im Hostel, in dem wir in den letzten zwei Tagen untergekommen sind.
    Im Hostel gibt es zwar schönere Zimmer, aber um Geld zu sparen, haben wir uns für den Mädchenschlafsaal im Erdgeschoss entschieden. Der Zementfußboden ist eiskalt unter unseren Füßen und manchmal können wir beim Aufwachen sogar unsere Atemwölkchen sehen. Obwohl zwölf Betten drinstehen, schläft Annabel trotzdem mit in meinem schmalen Bett. Das Hostel, das Bettzeug und Kissen zur Verfügung stellt, ist nämlich nicht bereit, nur für uns beide die Heizung anzustellen. Und so müssen wir uns mit unseren Mänteln wärmen.
    Heute Nacht kann ich nicht schlafen. Annabels Körper ist warm - zu warm. Ihretwegen ist es ganz heiß und stickig unter dem Mantel. Sie ist mir viel zu nah; wir liegen zu eng aufeinander. Ich versuche, ein Stückchen wegzurutschen, sodass sich unsere Seiten mehr nicht berühren und ein paar Zentimeter zwischen uns sind. Aber die durchgelegene Matratze hat in der Mitte eine Kuhle, sodass ich unwillkürlich wieder zurückrutsche.
    Mein Plan reichte nur bis zu dem Punkt, an dem wir unseren Selbstmord vorgetäuscht haben. In dem handschriftlichen Abschiedsbrief, den ich auf der Brücke in Rouen in das oberste Fach des »PJ«-Rucksacks gesteckt habe, habe ich besonders hervorgehoben, dass ich mit diesem Leben abgeschlossen hätte, ohne jedoch zu erklären, warum. Ich habe die Worte sorgfältig gewählt und mich dabei gefragt, was wohl meine Eltern im Gefängnis denken würden, falls sie den Brief nach seinem Auffinden jemals lesen dürften. Jay. Ich kann nicht glauben, wie weit ich gegangen bin. Aber ich kann nun mal nicht riskieren, entdeckt zu werden. Nicht wenn ich schuld bin an ... In meinem Hinterkopf haftet das Wort Mord. Ich fröstle.
    Annabel dreht sich um und zieht mir dabei den Mantel weg, sodass mich ein kalter Luftzug streift. Ich zerre den Mantel wieder über mich und beiße mir auf die Lippe, bis die Kälte nicht mehr an mir nagt. Annabel schnarcht, holt tief Luft und erschaudert dann. Tagsüber ist sie vielleicht fröhlich, aber nachts plagen sie Albträume.
    Sie ist der einzige Mensch, der mir geblieben ist, und wir brauchen einander. Ich gehöre zu ihr, an ihre Seite, wo immer sie ist.
    Aber Cherbourg ist noch nicht weit genug von Paris entfernt. Wir müssen unbedingt irgendwohin, wo die Marquets uns nicht finden können.
    Wo immer das sein mag - ich kann nur hoffen, dass es dort wärmer ist als hier. Cherbourg im Winter ist garantiert das kälteste Fleckchen Erde überhaupt.
    Nach einem Frühstück mit Cornflakes und kaltem Tee spaziere ich mit Annabel zu Cherbourgs großem Hafen. Natürlich brenne ich nicht gerade darauf, draußen in der Öffentlichkeit herumzulaufen, aber heute fühle ich mich auf eine seltsame Weise dazu getrieben, über den Ärmelkanal zu schauen - so sehr, dass ich mich in einen Teil der Stadt wage, in dem es keine Menschenmengen gibt, in denen man notfalls untertauchen kann, wenn uns jemand folgen sollte. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund muss ich heute unbedingt die Schiffe sehen.
    Bevor man das Ufer erreicht, gelangt man an einen großen Park mit einer riesigen Statue von Napoleon. Sie blickt auf die Befestigungsmauern, die Napoleon vor Jahrhunderten dort erbaut hat. Dahinter liegt ein großer leerer Skatepark, durch den der Wind pfeift. Wir
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