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Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Titel: Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
Autoren: Lucy Silag
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kehre ich mit geröteten und rauen, nasskalten Wangen ins Hostel zurück. Bestimmt liegt Annabel beleidigt im Mädchenschlafsaal auf dem Bett, wütend, weil ich nicht mit ihr ins Hostel zurückgegangen bin.
    Doch noch bevor ich Annabel sehe, höre ich sie bereits, kaum dass ich an der Hotelrezeption vorbeigehe.
    Sie singt - sie singt gerne, aber ich habe sie schon lange nicht mehr singen hören. »From the Ken-tucky coal mines ...« Ihre Stimme ist so klar und hell wie eine französische Kirchenglocke in einer frommen Pfarrgemeinde à la campagne.
    Aber woher hat sie die Gitarre?
    Mit geballten Fäusten springe ich die Stufen hoch. Wenn sie den letzten Rest unseres Geldes für eine blöde gebrauchte Gitarre ausgegeben hat, nur um mir eins auszuwischen, gerade jetzt, wo wir das Geld doch dringend benötigen, um uns damit zu retten und in Sicherheit zu bringen, dann ...
    Ich reiße die Tür zum Schlafsaal auf. Bevor ich jedoch etwas sagen kann, sehe ich, dass nicht Annabel Gitarre spielt, sondern eine Frau, die meine Mutter sein könnte. Die Frau ist dick und wabbelig, die Gitarre ruht auf ihrem Bauch, und als der Refrain kommt, stimmt sie zusammen mit einigen der anderen Frauen, die um Annabel herum auf dem Fußboden unseres Zimmers sitzen, ein. »Me and Bobby McGee ...«
    Als die Frauen mich bemerken, lächeln sie, singen aber trotzdem weiter, bis das Lied zu Ende ist. Dann klatschen alle und klopfen Annabel anerkennend auf die Schulter.
    »Gut gemacht, Liebes! Deine Stimme ist so schön wie die eines Rotkehlchens, stimmt's nicht, Mädels?«, lobt die Gitarrenspielerin sie. »Ist das deine Schwester?«
    Die Frauen schauen zu mir hoch, während ich noch immer zögernd in der Tür stehe.
    »Und ob!«, antwortet Annabel, springt auf und umarmt mich. Sie lässt ihre Arme auf mir liegen, als sie mich der Gruppe vorstellt. »Das ist meine Schwester, ähhhhh ...«
    »Cathy«, vollende ich den Satz. »Ich bin Cathy.« Unter diesem Namen habe ich auch im Hostel eingecheckt.
    »Und das«, fährt Annabel fort, »ist The Goddess and Light Band, die aus Austin, Texas stammt. Sie sind in Frankreich, um mit dem Spirit hier in Berührung zu kommen.«
    »Dem Spirit?«, wiederhole ich.
    »Das ist richtig, Miss«, erklärt die Gitarrenspielerin. »Ich bin Sunny, und das hier ist meine Band -« Sunny zeigt reihum auf die anwesenden Frauen. Sie sind insgesamt zu fünft. Sunny erklärt mir, welche Instrumente sie jeweils spielen. Die Schlagzeugerin, die so alt aussieht, dass sie meine Großmutter sein könnte, trägt ein wallendes Batikkleid mit Cowboystiefeln und langer Thermounterwäsche, die unten aus ihrem Rock herausragt. Sie klopft einen schnellen Takt auf einer Ledertrommel und nickt zu mir herüber. »Wir wollen auf dieser Seite des großen Teichs ein bisschen auf Spurensuche gehen.«
    Ich lächle schwach in die Runde und rolle mich dann auf dem Bett zusammen. Bei dem Lied »Blowin' in the sun«, dessen Strophen Annabel und Sunny abwechselnd singen, schlafe ich ein.
    * * *
    Als ich aufwache, sind alle Lichter im Schlafsaal erloschen. The Goddess and Light Band schläft. Das Geräusch ihrer schweren Atemzüge ist beruhigend.
    »Wenn Leute hier drin sind, ist es gleich viel wärmer, hm?«, sagt Annabel, als sie ausnahmsweise mal aus meinem Bett schlüpft und in ihr eigenes kriecht. Sie schaut mich lange an, so als wolle sie etwas sagen, wüsste aber selbst nicht genau, was.
    Uns ist beiden klar, dass das Ganze ein einziges Desaster ist.
    »Ich will nach Hause«, flüstert Annabel im Dunkeln.
    »Das geht nicht«, sage ich und unterdrücke ein Schluchzen.
    »Ich liebe dich, Penny Lane«, wispert Annabel. »Ich meine, Cathy.«
    »Das weiß ich.«
    »Ich will so nicht mehr weitermachen.«
    Sofort setze ich mich auf und greife nach ihrer Hand. »Nein, Annabel. Sag so was nicht.«
    Am darauffolgenden Nachmittag nehmen Annabel und ich Sunnys Einladung zu einem Abendessen mit der Band an. Im Hostel gibt es eine Küche und Sunny will uns dort eine große Portion frischen Fisch aus der poissonnerie zubereiten - wir sähen viel zu dünn aus, meint sie. Annabel ist sichtlich fasziniert von den Frauen und davon, wie schnell sie uns in ihrer Runde aufgenommen haben, ja geradezu bemuttern. Für das kostenlose, sättigende Essen bin ich dankbar, aber als wir in der Hostelküche im ersten Stock um einen Linoleumtisch herumsitzen und essen, kann ich mich trotzdem nicht auf die Unterhaltung konzentrieren. Irgendetwas an der Art und Weise, wie Annabel
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