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Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Beautiful Americans 03 - Leben á la carte

Titel: Beautiful Americans 03 - Leben á la carte
Autoren: Lucy Silag
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seinen Bart wirkt er alt und müde.
    »Ich habe ein eigenes Zimmer«, flüstert Dave Annabel zu. »Ein Einzelzimmer.«
    »Nichts wie los«, juchzt Annabel. Und schon sausen sie hinauf, an der Küche im ersten Stock vorbei und dann noch eine Treppe höher, zu den Einzelzimmern. Mir steht der Mund offen, aber ich bin zu schockiert, um ihnen etwas hinterherzurufen. Dabei habe ich mir doch gerade einen Plan zurechtgelegt. Ich wollte einen Weg aus unserer Misere finden. Ein für alle Mal.
    Ich mustere das Gesicht der Rezeptionistin auf der Suche nach irgendwelchen Hinweisen, ob sie vielleicht noch weitere Überraschungsgäste für uns in petto hat. »Sie hat ihn angerufen?«, frage ich sie, weil niemand anders da ist, der mir Auskunft geben könnte, was hier gerade vor sich geht. Das Mädchen erwidert meinen Blick wortlos, dann wendet sie sich erneut dem Fernseher zu und stellt ihn lauter.
    * * *
    Als Annabels Lippen meine Wangen berühren, wache ich auf.
    »Tschüss, Cathy«, sagt sie leise, darauf bedacht, dass keiner von der Goddess and Light Band aufwacht. »Ich gehe zurück nach Vermont.«
    »Ohne mich?« Ich setze mich auf. Im Hostelflur hinter der Tür kann ich Daves Silhouette ausmachen. Anscheinend wartet er draußen auf sie. »Wie spät ist es? Was ist los?«
    Annabel wirft einen Blick auf die alte Taschenuhr, die sie an einer Kette um den Hals trägt. Die Uhr gehört zu den vielen Gegenständen, die sie aus dem Apartment in Rouen mitgenommen und immer am Körper getragen hat. »Fast sechs«, antwortet sie. »Dave hat uns einen Flug besorgt, der mittags von Paris aus geht. Wenn wir den kriegen wollen, müssen wir uns jetzt auf die Socken machen.«
    »Was ist aber mit... der Polizei?«, frage ich fast unhörbar. »Du kannst nicht zurück.«
    »Ich muss los«, entgegnet meine Schwester. »Dave meint, das wird schon. Ich kann unsere Eltern doch nicht einfach im Gefängnis verrotten lassen, PJ! Und Dave sagt, er kennt einen Anwalt, der im Fall eines Teilgeständnisses eine Strafmilderung für mich beantragen kann.«
    »Dave sagt?« Ich ziehe Annabel zu mir herunter, damit ich ihr vom Bett aus direkt ins Ohr flüstern kann und er es nicht hört. »Was ist mit mir? Ich brauche dich. Was ist mit Denis Marquet? Wir - wir haben ihn dort einfach liegen lassen!«
    Annabel hält mir mit ihrer kalten Hand fest den Mund zu. »Hör auf, PJ. Das weiß keiner - und wenn du klug bist, braucht das auch keiner zu erfahren. Außerdem hast du ihn dort liegen lassen. Nicht wir.«
    Sie blickt hinter sich zur Tür und dann zu Sunny hinüber, die sich gerade im Bett umdreht. Jetzt haben wir sie doch in ihrer Nachtruhe gestört. Bestimmt wacht sie gleich auf.
    Annabel küsst mich auf den Kopf, die Hand noch immer fest auf meinem Mund, damit ich keinen Mucks von mir geben kann. »Muss los, Pen. Ich meine, Cathy.«
    Mit diesen Worten geht sie hinaus. Ich öffne den Mund, als wollte ich ihr etwas hinterherrufen, um sie aufzuhalten, aber meine Kehle ist wie ausgedörrt und ich bringe kein Wort heraus. Mir kommt es so vor, als wäre das Hostel ein eisiger Brunnen und Annabel steigt nach oben ins Freie und zieht dabei die Leiter hinter sich hoch. Ich falte fest meine Hände und habe wieder das Gefühl, einem Stummfilm zuzusehen, aber diesmal mit wirren und ungeordneten Szenen. Wie bin ich hier nur reingeraten?, frage ich mich und wünsche mir, ich könnte weinen. Wie kommt es, dass sie flüchtet und ich werde aus meinem neuen Leben verbannt? Mein wahres Leben, mit seinen langen Spaziergängen, den vielen Stunden, die ich gemalt, Französisch gelernt und an fast nichts anderes gedacht habe als an Licht und Farben und wie ich am besten etwas Schönes auf Leinwand bannen kann. Mein wahres Leben, das, in dem es Freunde gab und die Aussicht auf Liebe und endlich - endlich - Sicherheit nach jenen schrecklichen Monaten, die ich im vergangenen Sommer in Vermont verbracht habe.
    Im Dunkeln höre ich Sunny seufzen wie eine weise alte Frau. »Keine Sorge, Kindchen«, sagt sie mit wacher Stimme. »Wir alle haben unsere Geheimnisse.«
    Ich bleibe stumm.
    »Die Band hier zieht morgen Richtung Caen weiter. Wir woll'n 'n paar Songs über meinen Daddy schreiben, der im Juni 1944 bei der Landung der Alliierten an der Küste der Normandie erschossen wurde. Als er die Franzmänner von den Krauts befreit hat. Beim Rumreisen nimmt man hier und da mal 'n junges Mädchen mit, das seine eigenen Wege geht. Keinen kümmert's, ob sie auf der Flucht ist oder wohin sie
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