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Bauernopfer

Bauernopfer

Titel: Bauernopfer
Autoren: Thomas Peter
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dann wollten sie fressen oder gemolken werden, und dann war wieder Ruhe. Aber die Leute, die waren alle gleich, einer wie der andere. Und was sollte dieses Gerede von Verantwortung und Schuld und Gewissen! Er trug keine Schuld, an gar nichts.
    Ein Geräusch, das nicht in die gedämpfte Kulisse des Kuhstalles passte, ließ ihn aufhorchen. Vor der Futtermulde kniend drehte er den Kopf zur Tür. Mit zusammengekniffenen Augen blinzelte er gegen die helle Deckenbeleuchtung. Keine zwei, drei Meter entfernt stand ihm jemand gegenüber. Von hier unten im Gegenlicht sah er nur eine schlanke Silhouette. Aber er erkannte die kleine runde Öffnung in dem Gegenstand, den die Person ihm entgegenstreckte. Wieder diese Pistole.
    Reflexartig riss er den Kopf zur anderen Seite. Aus dem Augenwinkel nahm er einen kurzen hellen Blitz wahr, dort, wo eben noch die Waffe auf ihn gezeigt hatte. Es war das Letzte, was er in seinem Leben sehen sollte. Den Knall hörte er nicht mehr.

Sonntag, 12. Oktober
    Sie kam mit dem Klingeln gar nicht hinterher. Theresa Korn burg hatte wie jeden Tag den Blumenschmuck am Marterl nahe beim Hochwasserdamm kontrolliert und strampelte jetzt mit wehender Kittelschürze und flatterndem Kopftuch wieder zurück ins Dorf. Auf dem Schotterweg waren ganze Völkerscharen unterwegs. Alle genossen den Sonnenschein an diesem herrlichen Herbsttag: Familien mit herumtollenden Kindern und zickzackschnüffelnden Hunden, verträumt Händchen haltende Paare, schwitzende Jogger und stochernde Walker, grellbunte Rennfahrer mit futuristischen Sonnenbrillen, Freizeitradier mit Hosenklammern, Pferdeliebhaber, die die gelangweilt grasenden Rösser auf den Koppeln links und rechts des Weges bewunderten, und Stadtflüchter, die durch die Wiesen und Felder zur glitzernden Donau hinunter flanierten – sie alle wuselten vor Frau Kornburg auf dem Weg herum. Und im Gegensatz zu ihr hatten alle Zeit und Muße, um interessiert in der Gegend herumzuschauen, auf alles Mögliche zu deuten und es zu bequatschen. Aber außer ihr fiel auch keinem auf, dass die Stalltür in dem Hof neben den Pferdekoppeln offen stand.
    ›Komisch‹, dachte Frau Kornburg, ›beim Bichler ist doch sonst immer alles zu.‹ Egal ob zehn Grad Kälte oder dreißig Grad im Schatten, der Bauer ließ sonst weder am Wohnhaus noch am Stall oder an einer der Scheunen ein Tor, eine Tür oder ein Fenster offen stehen. Sie wurde langsamer und betrachtete den Hof. Nichts regte sich in dem Geviert. Doch jetzt, da sie sich auf das Anwesen konzentrierte, konnte sie zwischen dem Geplapper und Getöse auf dem Weg das Vieh im Stall hören. Die Tiere waren unruhig, unzufriedenes Muhen mischte sich mit metallischem Gerassel. Es ging zwar auf die Fütter- und Melkzeit zu, aber die Arbeiten waren noch nicht überfällig. Und außerdem war der Bichler in diesem Punkt immer zuverlässig.
    ›Dann müsste er sie ja heute früh schon nicht …‹, dachte Frau Kornburg. Sie hielt an, lehnte ihr Rad an die Mauer und betrat den gekiesten Hof.
    »Herr Bichler?«, rief sie, und noch einmal mit anderer Betonung: »Herr Bichler?« Sie erhielt keine Antwort. Neugierig, aber auch sehr vorsichtig betrat sie durch die offene Tür den Stall. Der alte Bichler mochte es überhaupt nicht, wenn man auf seinem Hof herumschnüffelte. In den Boxen wankten die Kühe ungeduldig hin und her und schlugen dabei gegen die Metallgitter. Obwohl am helllichten Tag die Beleuchtung brannte, war es duster hier drinnen; besonders wenn man aus dem Sonnenschein hereinkam. Sie kniff die Augen zusammen und sah sich um. Dann entdeckte sie ihn am anderen Ende des Stalles. Auf ein weiteres, zögerliches »Herr Bichler?« reagierte er nicht. Nach ein paar Schritten in seine Richtung blieb sie stehen wie vom Donner gerührt. Sie atmete hörbar ein und bekreuzigte sich. »Jesus, Maria und Josef …«
     
    Das Gedudel des Telefons riss Charly aus seinem Tagtraum. Der Blick aus dem Bürofenster auf die roten und gelben Blätter der Kastanienbäume im warmen Glanz des Spätnachmittags hatte ihn dazu verführt, sich noch einmal die drei Tage ins Gedächtnis zu rufen, die er vor kurzem zusammen mit Petra in Südtirol verbracht hatte. Er erinnerte sich an die fantastische Aussicht auf dem Höhenweg, an Petras herzliches Lachen, als er den Kuhfladen genau in der Mitte getroffen hatte, an den schweren Rotwein, der beim Abendessen so majestätisch im Kerzenschein glühte, und an die winzigen Härchen an Petras Bauch, die verführerisch in der
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