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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse
Autoren: Anne Sievers
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aufleuchtete und der Aufzug mit unmerklichem Ruck anhielt, wurde er gewahr, daß er schon einmal mit diesem Lift in die letzte Etage dieses Bankgebäudes gefahren war. Damals, im vergangenen Sommer, hatte Harald Klingenberg, der Vorstandsvorsitzende, vergiftet neben seinem Schreibtisch gelegen. Jetzt war Jäger hier, um den neuen Vorstandsvorsitzenden festzunehmen, von dem er schon vorher nahezu sicher gewußt hatte, daß er einer der Mörder war. Jäger fühlte den bitteren Geschmack noch auf der Zunge, der sich in jenem Augenblick vor ein paar Tagen eingestellt hatte, als er Dantons Tod gelesen hatte. Ein Geschmack, der haften geblieben war und der sich vor wenigen Stunden, als er das Fax erhalten hatte, zu galliger Schärfe verdichtet hatte. Es war der Geschmack von Schuldgefühlen, Reue, Selbsthaß. Ein gutes Zeichen, dachte der Staatsanwalt in ihm in zynischer Analyse. Der Delinquent zeigt Einsicht und bereut sein Handeln. Er ist Ersttäter, resozialisierungsfähig und verdient daher Bewährung. Hundertmal hatte er das von Anwälten gehört, und hundertmal hatte es ihn nicht gestört. Jetzt war er sein eigener Ankläger, Anwalt und Richter. Er wußte gut, was er getan hatte, auch wenn ihn niemand je deswegen belangen würde. Daß er jetzt in diesem Aufzug stand, einen Haftbefehl in der Tasche, war keine späte Einkehr, sondern ein Mitschwimmen auf einer Welle, die ihn im Falle weiterer Untätigkeit überrollt und ertränkt hätte.
    Dazu hätte es nicht einmal des Anrufs aus Wiesbaden bedurft, den er kurz vor seinem Aufbruch erhalten hatte. Beim BKA wurde bereits lebhaft darüber spekuliert, welcher Art die Verbindung war, die zwischen alten Stasi-Kreisen und einer gewissen famiglia bestand, aus deren Domizil in Neapel das Fax offenbar gesendet worden war.
    Jäger folgte den Beamten den Gang entlang zum Büro des Vorstandsvorsitzenden. Wie damals im Sommer betrachtete er den schimmernden Teppichboden unter seinen Füßen und die Gemälde und Drucke an den Wänden, doch er sah diesen Luxus jetzt mit anderen Augen. Die diffusen Neidgefühle von damals waren der Erkenntnis gewichen, daß die verspiegelten Burgen der Hochfinanz eine seltsame, trügerische Frucht waren. Je glitzernder und reizvoller die Schale, desto giftiger der Inhalt. Einmal hineingestochen, und das Innenleben quoll hervor wie faulige Gallerte, alles unter ihrem schleimigen Firnis erstickend. Die Hüter dieser Frucht kannten keine anderen Werte außer jenen, die sie täglich aus ihren Reuters abfragten.
    Jäger dachte wieder über das Fax nach. Im Gegensatz zu den Leuten beim BKA wußte er genau, wer es gesendet hatte. Ihn interessierte nicht besonders, von wo aus sie es geschickt hatte, jedenfalls nicht so sehr wie ihre Auswahl der Empfänger. Außer dem BKA hatten auch der Generalstaatsanwalt und das Bundesaufsichtsamt der Banken jeweils eine Ausfertigung erhalten. Und ein Hamburger Nachrichtenmagazin, das sich mit Freudengeheul auf die Story stürzen würde. Die komplette Verteilerliste hatte als handschriftlicher Vermerk unten auf der letzten Seite der Akte gestanden. Jäger war ganz am Schluß aufgeführt, ein Umstand, der ihm seine Niederlage noch stärker zu Bewußtsein brachte.
    Die Beamten blieben vor der Tür von Wikings Büro stehen. Einer von ihnen klopfte, kurz und hart. Er wartete fünf Sekunden und klopfte dann noch einmal. Schließlich gab er Jäger ein Zeichen, zurückzutreten, nickte seinen beiden Kollegen zu und zog seine Pistole aus dem Schulterhalfter. Seitlich an die Wand gedrückt, stieß er die Klinke nieder und trat mit dem Fuß die Tür nach innen. Sie knallte gegen die Wand und verursachte dabei ein Geräusch, das wie ein Pistolenschuß klang.
    Jäger atmete ruckartig aus. Er wußte sofort, daß der Haftbefehl in seiner Tasche das Papier nicht wert war, auf dem er stand. Es würde zu keiner Festnahme mehr kommen. Er schob sich an den Beamten vorbei und betrat das Büro. Ein Geruch nach bitteren Mandeln hing in der Luft und mischte sich mit dem Gestank menschlicher Exkremente. Der Tote lag neben dem Drehsessel auf dem Fußboden, die Beine bis zu den Knien unter dem Schreibtisch verborgen. Er lag auf dem Bauch, die Hände auf dem grauen Velours zusammengekrümmt. Das Gesicht war blau angelaufen und zur Seite weggedreht, eine in Agonie erstarrte Grimasse. In den geöffneten Mundwinkeln klebte gestocktes Blut.
    Diesmal gab es keinen Abschiedsbrief, nur eine Akte, die auf dem Schreibtisch lag. Es war die gleiche, die auch
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