Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse
Autoren: Anne Sievers
Vom Netzwerk:
achtundzwanzig war, also halb so alt wie er. Und er wußte, auch ohne daß es ihm jemand hätte sagen müssen, daß sie doppelt soviel verdiente. »Wohin Sie wollen.«
    »Am liebsten in mein Büro«, sagte sie tonlos. Er sah, wie ihre Finger sich verkrampften. Er folgte ihr achselzuckend auf den Gang, wo die bereits eingetroffenen Mitarbeiter in Grüppchen tuschelnd beisammenstanden. Als sie an ihnen vorbeikamen, verstummte das Geflüster. Sie ging voraus zum Aufzug, er betrat hinter ihr die Kabine. Sie fuhren schweigend vier Etagen tiefer, bis zum zehnten Stock. Der Flur hier war weniger aufwendig ausgestattet als in der Vorstandsetage. Der Teppich war eine Nuance gröber, die Textiltapete eine Kategorie schlichter. An den Wänden hingen keine Gemälde, sondern Drucke. Jäger stellte mißvergnügt fest, daß es Originale waren. Keine Kalenderausschnitte wie in seinem Büro.
    Johanna stieß die Tür zu ihrem Büro auf und ließ ihn eintreten. Sie setzte sich in ihren Schreibtischsessel und deutete auf den Besucherstuhl. Jäger ließ sich zögernd nieder. Er fühlte sich augenblicklich unterlegen. Der Raum war nicht so überwältigend wie das Büro des Toten, aber in seinen Augen strotzte er dennoch vor Verschwendung. Das Büro war groß, mehr als doppelt so groß wie das seine bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft. Allein die Einrichtung war mindestens zwei seiner Jahresgehälter wert, in nichts zu vergleichen mit dem Sperrholzmobiliar, mit dem er sich seit fast dreißig Dienstjahren unverändert begnügen mußte.
    Der ausladende Schreibtisch war wie die Schränke und Regale aus feingemasertem Tropenholz, der hochlehnige Sessel mit weichem, dunklem Leder bespannt. Der Besucherstuhl paßte sich seinem Körper an, als wäre er eigens für ihn hergestellt, ein Musterstück ergonomischen Möbeldesigns. Selbst der Generalstaatsanwalt residierte nicht annähernd so komfortabel. Jäger bemühte sich vergeblich, seine Verbitterung zu unterdrücken. Der angespannte Zynismus in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Sie haben es ja wirklich nett hier.«
    Sie blickte auf und starrte den untersetzten grauhaarigen Mann auf ihrem Besuchersessel an. Jäger merkte, daß sie durch ihn hindurchsah. Sie ging nicht auf seine Bemerkung ein.
    »Ich war gestern mittag mit ihm essen. Er sprach darüber, wo er das nächste Mal Urlaub machen würde. Sylt oder die Toskana. Er wollte unbedingt nach Florenz. Die Uffizien sehen.« Sie sprach mehr zu sich selbst. »Er hat einen ganz normalen Eindruck gemacht. Ganz normal.« Sie stand auf, ging zum Fenster, legte die Stirn an die Scheibe. Ihr schulterlanges, platinblondes Haar fiel nach vorn. Jäger sah emotionslos, daß es in der Morgensonne glänzte.
    Ihre Schultern zuckten, mit ihrer Beherrschung war es vorbei. Er stand ebenfalls auf, trat neben sie ans Fenster und legte ihr die Hand auf die Schulter. Jetzt war es wie immer in solchen Situationen, wenn er mit Hinterbliebenen eines gewaltsamen Todesfalls zu tun hatte. Er war Herr der Lage, väterlich, verständnisvoll. Sie drehte sich zu ihm um. Ihre Augen leuchteten wie blaues Porzellan. Sie weinte nicht, aber ihr Gesicht war starr vor Schmerz. »Warum sollte er sich umbringen, wenn er doch in die Toskana wollte? Warum denn bloß?« stieß sie hervor.
    »Sie standen ihm nahe?« fragte er mitfühlend. Das Mitgefühl war Kalkül. Er wußte von den tuschelnden Frauen auf dem Gang, wie nahe sie ihm gestanden hatte. Er wollte mehr Informationen. Johanna trat einen Schritt zurück, nestelte eine Packung Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche. Sie putzte sich die Nase, schob das gebrauchte Taschentuch zurück in die Tasche. Sie hatte sich wieder völlig in der Gewalt. Mit einer flüchtigen Bewegung strich sie über ihr elegantes puderblaues Etuikleid. »Ja, ich denke, so kann man es ausdrücken. Allerdings nicht auf die Weise, wie es manche Leute in diesem Bankhaus hier sehen.«
    »Wie sehen es denn manche Leute?«
    »Auf die häßliche Art.«
    »Die häßliche Art?«
    »Ja. Ich glaube, ich muß Ihnen nicht näher erläutern, was ich damit meine.«
    »Doch. Ich bitte darum.«
    Sie ging zurück zum Schreibtisch, ließ sich in ihren Sessel fallen. Diesmal forderte sie ihn nicht auf, sich ebenfalls zu setzen. Er tat es trotzdem.
    »Ich gehe davon aus, daß Sie schon das eine oder andere über mich in Erfahrung gebracht haben. Draußen auf dem Gang stehen genug Schnattergänse. Sie wissen sicher inzwischen, daß ich einen Direktorenposten hier in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher