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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse
Autoren: Anne Sievers
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leicht, wenn da nicht der andere Teil von ihm gewesen wäre, jener Aspekt seiner Persönlichkeit, der es ihm ermöglichte, zuzusehen, wie ein Mensch zu Tode gefoltert wurde. Doch er hatte es für sie getan. Vielleicht schaffe ich es, dachte sie. Schließlich hat Gina es auch geschafft. Wenn ich es nicht allein schaffe, hilft er mir dabei. Er begräbt diesen dunklen Teil in sich, so tief, daß er nie wieder zum Vorschein kommt und langsam in Vergessenheit gerät. Wir bauen zusammen etwas auf, haben Kinder. Unsere Liebe wird noch wachsen. Liebe verzeiht.
    Johanna wußte plötzlich, daß sie es versuchen mußte. Sie wandte sich vom Meer ab, um zur Küstenstraße zurückzugehen.
    »In diesen Breiten wird es selbst im Winter selten kälter als fünf Grad. Trotzdem ist es eigentlich zu kalt, um barfuß am Strand herumzulaufen.« Der Mann, der sie angesprochen hatte, stand keine zwei Meter von ihr entfernt. Er war klein und schlank, und er trug einen Mantel, dessen Farbe sie in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. Die Hände hatte er in den Taschen vergraben.
    Johanna versuchte, sein Gesicht zu sehen, doch sie erkannte nur die verwaschenen Konturen schmaler Schultern und eines Kopfes, der für den schmächtigen Körper zu groß wirkte.
    »Wer sind Sie?« fragte sie mit kaum hörbarer Stimme. Doch sie kannte die Antwort bereits. Ihre Füße schienen in den Sand hineinzuwachsen, und sie fühlte die plötzliche Blutleere in ihrem Gehirn, merkte, wie ihr Herzschlag sich verlangsamte und wie ihre Sicht zu verschwimmen begann. Sie begriff, daß sie kurz davor stand, ohnmächtig zu werden.
    »Es ist eine seltsame Ironie des Schicksals. Ich heiße genauso wie der einzige Mann, der mich je besiegt hat. Eine unbekannte Größe, dieser Ernesto. Irgendein betuchter Geschäftsmann, wie ich glaubte. Mein einziger Irrtum bisher, aber mein folgenschwerster. Ich habe auf einen Schlag meine ganze Brigade verloren.« Johanna registrierte trotz der zunehmenden Trübung ihrer Wahrnehmung, daß er Brigade gesagt hatte. Ein DDR-Wort.
    »Ich war natürlich nicht so dumm, auf seine Häscher zu warten. Ich habe zwar keine Männer mehr, aber Geld genug, um mir neue zu kaufen. Obwohl, und das muß ich zugeben, es in der heutigen Zeit unendlich schwer ist, verläßliche Gefolgsleute um sich zu scharen.«
    Schreien, dachte sie. Ich muß schreien. Sie öffnete den Mund, aber nur ein schwaches Ächzen kam über ihre Lippen. Sie schwankte. Er nahm die Hände aus den Taschen und kam näher. »Nun, ich muß zusehen, daß ich weiterkomme. Geschäfte warten auf mich. Große Geschäfte. Sie wissen ja, die Stiftung.«
    Er ist wahnsinnig, dachte sie. Er wußte nicht, daß sie die Akte hatte. Er glaubte, alles wäre noch offen.
    »Es ist zu spät«, stieß sie hervor. Schrei, befahl sie sich.
    Ernst kicherte. »Es ist nie zu spät. Sie sind die einzige Person, die mir gefährlich werden kann.« Er legte den Kopf zur Seite. »Sie würden mir doch gefährlich werden, wenn ich Sie gehenlasse, oder? Eine heilige Johanna, die für die Gerechtigkeit kämpft. Es paßt so wunderbar. Ich liebe es, wenn die Dinge so passend sind, vor allem bei Namen. Sogar mein bisher stärkster Gegner paßt zu mir. Er trägt meinen Namen.« Er streckte die Hände nach ihr aus. Sie begann zu würgen und taumelte einen Schritt zurück. Er folgte ihr. »Ich muß die heilige Johanna vernichten. Bevor sie zur Polizei gehen kann. Das täte sie doch, nicht wahr? Sie würde die Jason-Liste aus meinem Auto stehlen und zur Polizei bringen.«
    »Nein«, hauchte sie. Schrei, schrei! Verdammt, schrei doch!
    »Sie lügen. Mir machen Sie nichts vor.«
    »Ich hab’s schon getan. Ich habe die Akte ans BKA gefaxt. Und an andere Behörden. Und an die Presse.« Ihre Knie begannen einzuknicken. Ich falle, dachte sie mit merkwürdiger Teilnahmslosigkeit.
    Er trat einen weiteren Schritt auf sie zu, bis er dicht vor ihr stand. »Sie haben doch die Akte gar nicht.«
    »Doch, ich habe sie. Sie... sie liegt im Wagen, oben an der Straße, ich kann Sie Ihnen zeigen...« Sie verlor das Gleichgewicht, doch sie fiel nicht. Er hielt sie fest. Seine Hände legten sich um ihren Hals, und die Krallennägel seiner Daumen gruben sich in ihren Kehlkopf. »Helmberg hätte sie Ihnen niemals gegeben, Sie lügen schon wieder.«
    Der Atem rasselte in ihrer Kehle und erstarb. Ernst quetschte ihre Luftröhre zu. Fauchend traf seine Stimme ihr Gesicht. »Sie kleines dummes Ding. Ich kenne Sie genau. Ich kenne Ihre Pläne. Ich wußte,
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