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Bankgeheimnisse

Bankgeheimnisse

Titel: Bankgeheimnisse
Autoren: Anne Sievers
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eines Mannes aus, der hüfttief im Wasser stand. Einen Herzschlag später war er in den Wellen, hing über ihm, mit beiden Händen den eigentümlich großen Kopf nach hinten reißend.
    Ernst hatte ihn nicht kommen hören. Er war versunken in seiner Beschäftigung, gefangen in einer Welt voller fremdartiger Verheißungen, die seinen Größenwahn längst in Irrsinn verwandelt hatten. Wie jedesmal tötete er mit verzückter Hingabe. Das erste Geräusch, das ihn aus dieser Ekstase riß, war zugleich das letzte, das er in seinem Leben hörte. Es war das Knacken, mit dem sein Genick brach.
    »Johanna?« Fabios Stimme überschlug sich in einem wilden Aufschrei. Sie war nicht da. Er platschte unbeholfen durch die Wellen, mit beiden Armen das Wasser teilend, heisere, beschwörende Laute ausstoßend, als könnte er wie Moses eine Schneise ins Meer schlagen. Dann berührte etwas seine Seite. Ihr Arm. Es war ihr Arm. Er hatte sie gefunden. Ihr Körper trieb reglos mit dem Gesicht nach unten neben ihm. Fabio packte ihren Kopf, hob ihn aus dem Wasser. Taumelnd bewegte er sich rückwärts und zog sie auf den Strand. Er ließ sich mit ihr fallen, drehte sie auf den Bauch, schob ihre Arme nach vorn und drückte mit aller Kraft von hinten gegen ihre Rippen. Ein glühender Speer schoß in seine verletzte Kniescheibe, als er sich neben sie kniete, um stärker pressen zu können. Sie atmete nicht. Er schrie und fluchte gotteslästerlich, während er sich hochzog, sie bei den Fesseln packte und an den Füßen in die Luft stemmte, bis ihr Kopf schlaff nach unten hing. Er keuchte und straffte sein gesundes Bein, die Muskeln und Sehnen an seinem Schenkel und seinen Schultern zum Zerreißen angespannt. Er hörte das Gluckern, mit dem das Wasser ihr aus Mund und Nase strömte und zu seinen Füßen im Sand versickerte.
    Er legte sie wieder hin, diesmal auf den Rücken, drückte ihren Kopf weit überstreckt nach hinten, hielt ihr die Nase zu und preßte seine geöffneten Lippen auf ihren Mund. Er stieß seinen Atem in sie hinein, einmal, zweimal, die Hand auf ihrer Brust. »Komm«, keuchte er, »komm, komm, komm!« Sie reagierte nicht, und ohne zu zögern machte er weiter. Nach dem drittenmal hörte er auf, schlug ihr hart mit der flachen Hand ins Gesicht. »Komm!« brüllte er sie an. »Komm schon!«
    Sie fing an zu würgen, dann zu röcheln. Ein krampfartiges Husten stieg in ihre Kehle. Fabio fiel zurück auf die Fersen, warf den Kopf in den Nacken und begann, rauh und haltlos zu schluchzen.
    Nach einer Weile beugte er sich zu ihr, zog sie in seine Arme, hielt sie an sich gepreßt, murmelte italienische Worte in ihr Ohr und wiegte sie, das Gesicht an ihrem Hals vergraben. Seine Tränen vermischten sich mit dem Salzwasser, das aus ihren Haaren tropfte. Minuten später, als ihre Hustenanfälle vorüber waren und Fabio versuchte, sich aufzurichten, grub sie ihre Finger in seine triefende Jacke und klammerte sich fest. »Nicht«, flüsterte sie. »Geh nicht weg.« Und dann begann sie, in seinen Armen zu weinen.

Epilog

    Acht Monate später saß Johanna im Schneidersitz vor dem Kamin und betrachte die züngelnden Flammen, in denen die Holzscheite brannten. Es knackte und knallte, und Wärme legte sich auf ihre Wangen wie schützende, streichelnde Hände. Die Hitze eines ganzen Sommers hatte die Kälte jenes letzten Winters nicht vertreiben können, und Johanna fror oft ohne ersichtlichen Grund. Manchmal glaubte sie, noch die eisigen Finger zu spüren, die sie ergriffen und an das Tor einer fremden, dunklen Welt geführt hatten.
    Sie hielt die Kontounterlagen in der Hand, die Leo ihr am Tage seines Todes gegeben hatte.
    »Eins Komma zwei Millionen«, murmelte sie.
    »Leg es rein«, brummte Fabio. Er lag lang ausgestreckt hinter ihr auf dem Boden, aufgestützt auf dem Ellbogen, ein Buch in der Hand.
    »Bist du sicher?« fragte sie zweifelnd.
    »Hundertprozentig. Ich kenne dich doch. Du würdest es bis an dein Lebensende mit dir herumschleppen, ohne auch nur einen Pfennig davon anzurühren. Du wirst dich besser fühlen, wenn du es los bist. Jetzt mach schon. Ich habe keine Lust, mich ewig hier aufzuhalten.«
    Johanna zauderte, doch dann legte sie mit einer raschen Bewegung die Unterlagen ins Feuer. Feine Ascheflocken stoben auf und schwebten in den Rauchfang. Eine Weile schaute sie in die Flammen, beobachtete den Zerfall des Papiers, wie es sich zuerst schwarz färbte, dann kurz rot aufflammte und schließlich zu weißgrauer Asche zerstäubte. Sie
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