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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat
Autoren: Anna Degen
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bekommen. Bewährung! Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit? Ich sage Ihnen, wenn ich den in die Finger bekommen hätte, ich hätte ihn in kleine Streifen geschnitten, mit meinem eigenen Küchenmesser. Aber das wäre ja noch zu wenig gewesen, viel zu wenig, nur seinen Körper zu zerstören. Ich wollte, dass er leidet, richtig leidet. Ich wollte seine Seele bluten lassen, so wie meine geblutet hat, jahrzehntelang, ein Leben lang. Lebenslänglich, ja, lebenslänglich, lebenslänglich!«
    Sie atmete schwer und fingerte an der Abbruchstelle ihres Nagels herum, blies darauf und murmelte: »Und Sie fragen mich, warum?«
    Plötzlich richtete sie sich auf, warf ihre Haare zurück und verkündete in einem Ton, als spräche sie vor einer großen Menschenmenge: »Es war meine Aufgabe, das Unrecht zu rächen. Und das Schicksal wollte es so, es war so vorherbestimmt. Es gab Zeichen, bedeutsame Zeichen. Weswegen musste ich denn gerade jetzt aus dem Ausland zurückkommen? Weswegen kam gerade jetzt diese Frau zu mir, damit ich die Adresse der Kromms erfahren konnte? Weswegen hatte ich gerade jetzt Urlaub, um alles sorgfältig vorbereiten zu können – alles Fingerzeige des Schicksals. Ich bin nur das ausführende Organ, ein Instrument der göttlichen Gerechtigkeit. Denn Gott, der zürnende, gerechte Gott sagt: ›Wenn dein Auge dich ärgert, so reiß es aus und wirf es von dir, und wenn deine Hand dich ärgert, so hau sie ab und wirf sie von dir.‹ Das ist mein Auftrag, der mir übertragen wurde.«
    Sie saß da, mit durchgedrücktem Kreuz und erhobenem Kopf, die Hände im Schoß gefaltet, mit triumphierendem Blick, das Zerrbild eines Racheengels.
    Â»Soweit ich sehe, haben Sie sich selbst kein Auge ausgerissen«, sagte Claudia Jung verächtlich. »Und wenn Sie schon die Bibel zitieren – dort steht auch: ›Mein ist die Rache, spricht der Herr!‹«
    Â»Ich glaube nicht, dass Ihnen das Bundesverdienstkreuz verliehen wird. In der Bundesrepublik ist Selbstjustiz nämlich verboten«, ergänzte Werner trocken. »Schon wegen der ›Kollateralschäden‹: Ein toter junger Mann, der mit der Sache nichts zu tun hatte, ein schwer verletzter Staatsanwalt, zwei traumatisierte Frauen – ein Mord und zwei Mordversuche, so sieht die Realität aus, Frau Gerstner.«
    Er griff zum Telefon. »Tom, wir haben hier ein Instrument der göttlichen Gerechtigkeit sitzen. Schick mal einen Kollegen zum Abführen rauf. Es reicht für heute.«

38
    Hanna machte sich müde auf den Heimweg. Heute war einer jener stressigen Tage gewesen, an deren Ende man sich nur noch ein Bad, ein bisschen Fernsehen und dann sein Bett wünscht. Nach dem leidlich gut überstandenen Seminar mit den anschließenden üblichen Diskussionen mit den Studenten um Referate, Scheine und Termine hatte sie mit einigen Kollegen zu Mittag gegessen.
    Zwei von ihnen waren dabei so heftig über die geplante neue Einkaufspassage in der Bamberger Innenstadt in Streit geraten, dass sie nahe daran gewesen waren, sich zu schlagen, und alle schließlich betreten die Mensa verlassen hatten. Hanna musste rennen, um noch rechtzeitig zur Sitzung des Fakultätsbeirats zu kommen, in den sie als Vertreterin der Lehrbeauftragten gewählt worden war; dort war es dann so langweilig, dass sie nur mit Mühe die Augen aufhalten konnte.
    Und zum Schluss hatte sie auch noch an einem Treffen der Schutzgemeinschaft Alt-Bamberg teilgenommen, bei dem es ebenfalls um die geplante City-Passage ging. Hanna hatte sich sehr gegen die Überbauung zahlreicher Parzellen durch dieses Einkaufszentrum und für den Erhalt der kleinteiligen Altstadtstruktur engagiert und für die Schutzgemeinschaft auch eine größere Abhandlung über die Geschichte und Gestalt des betroffenen Stadtquartiers verfasst, ehrenamtlich natürlich, wie so häufig.
    Und jetzt sah es so aus, als wäre ihre Arbeit nicht nur umsonst, sondern auch vergebens gewesen – die neuen Pläne des Investors waren katastrophal. Das Leben machte momentan nicht so richtig viel Spaß.
    Â»Grüß Gott, Frau Dr.   Tal.«
    Hanna schrak zusammen. Vor ihr stand der Mann, der sie gestern auf ihrem so abrupt abgebrochenen Stadtrundgang mit Paolo von fern gegrüßt hatte; ein schmaler, bebrillter Intellektueller mit etwas zu langen weißen Haaren. Er nahm vor ihr den Hut ab,
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