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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat
Autoren: Anna Degen
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Ohrring an. Der spitze gelbe Schnabel schoss vor, packte den Ring und zerrte daran, zerrte und zerrte. Erst als die Stille des Morgens durch klatschende Schritte unterbrochen wurde, gab der Rabe auf und flog davon.
    Der dichte Aprilregen drang durch die Kronen der alten Bäume und tränkte die Erde, die übersät war mit den weißen und violetten Blüten des ersten Lerchensporns und seinen zarten, weitgefächerten blaugrünen Blättern. Anemonen ließen regenschwer die Köpfchen hängen, kleine rosa gestreifte Regenschirme, die über dem Boden baumelten. Bärlauch entfaltete seine ersten Lanzenblätter und mischte sein Aroma unter den herben Erdgeruch der feuchten vermodernden Blätter. Den Vögeln waren ihre Flügel zu schwer geworden; sie schwiegen, und nur das Summen der fernen Straße mischte sich in die dunkle Lautlosigkeit unter den Zweigen.
    Eine einsame Joggerin umrundete die Pfützen, die in den weichen Wegen gewachsen waren. Sie war schon fast an der lichten Wiese vor dem Denkmal vorbeigelaufen, als sie plötzlich stockte. Langsam drehte sie den Kopf, zögerlich, als hätte sie Angst, etwas zu sehen, was sie nicht sehen wollte. Sie schob den Rand ihrer Kapuze etwas zur Seite und trabte mit kleinen Schritten durch das kurze, nasse Gras bis zu den Stufen am Rand der Wiese.
    Eine große rote, vom Regen verwässerte Lache verhieß, dass der junge Mann zu Füßen des Königs nie mehr aufstehen würde.
    Das Mädchen in der bunten Sportkleidung holte ihr Handy heraus. Fünfzehn Minuten später zuckten Blaulichter durch den Hain, den großen Park im Süden der Stadt. Polizisten in Regenmänteln sperrten den Tatort leise fluchend mit rot-weißem Band ab. Die Polizeimaschinerie war angelaufen.

2
    Das war’s, dachte Hanna. Sie hängte ihr Handtuch an den Haken und schloss leise die Badezimmertür, ohne Benno noch einmal anzusehen. Sie zog Mantel und Schuhe an, nahm ihre Handtasche und einen Schirm und verließ die Wohnung. Draußen lag stahltürengrau der Tag. Es regnete in Strömen, ein kalter, durchdringender Regen. Auf dem Weg zu ihrem Auto machte sie große Schritte über die Kuhlen im alten Pflaster, in denen das Wasser zusammengelaufen war, und bekam doch nasse Füße. Bis sie die Autotür geöffnet und den Schirm verstaut hatte, hatte auch ihr Haar so viel Feuchtigkeit abbekommen, dass es sich vollends zur unbezähmbaren roten Löwenmähne aufplusterte.
    Der Verkehr floss dicht, wie immer in der Stunde vor acht. Eigentlich war Bennos Bemerkung eine Lappalie gewesen: »Kannst du, verdammt noch mal, denn die Zahnpastatube nicht zumachen? Das kann doch nicht so schwer sein!«
    Doch das war der berühmte letzte Tropfen gewesen. Sie konnte einfach all diese Regeln, die er für seine Wohnung und für sein Leben aufgestellt hatte, nicht mehr ertragen: Gabeln in der Besteckschublade rechts und Löffel links, das Geschirrhandtuch an den einen Haken und das Handhandtuch an den anderen, Zeitungen ordentlich zusammengelegt in die Altpapierschublade und Zahnpasta zumachen und auf den Kopf stellen und und und … Das Gefühl, zu ersticken, war übermächtig geworden. Es reichte!
    Haufen von frierenden, nassen Schulkindern drängten sich an den Bushaltestellen. Es war noch einmal scheußlich kalt geworden letzte Nacht. Hanna überquerte die neue Luitpoldbrücke, die ihr wie ein grau glänzendes Riesenmonster kurz vor dem Abflug vorkam, zu groß für diese Stadt. Die Lange Straße sah trotz der vereinzelten erleuchteten Schaufensterscheiben verlassen und krank aus. Als Hanna endlich im Strom der Schüler, die zum Clavius-Gymnasium strebten, eine Lücke gefunden hatte und von der Kapuzinerstraße in ihre kleine Gasse abbog, meinte sie für einen kurzen Moment, in eine Schlucht zu tauchen, flüsternd und grün und friedlich. Dieses Gefühl verstärkte sich, als sie das Auto in ihrem Hof geparkt und das Tor geschlossen hatte. Stille. Und sie war zu Haus.
    Was für ein Glück, dass sie das Häuschen nicht verkauft hatte, als sie zu Benno gezogen war. Man hatte ihr viel Geld geboten dafür. Immer wieder gab es sehnsüchtige Bewerber für die kleine barocke Bausünde zwischen den malerischen Fischerhäusern von Klein-Venedig. Aber obwohl sie das Geld dringend hätte gebrauchen können, hatte sie es nicht übers Herz gebracht, sich von diesem
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