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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat
Autoren: Anna Degen
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›Kini‹, der einem Gegner das Lebenslicht ausgeblasen hat.«
    König Ludwig II . von Bayern hatte bis heute Verehrer, die, in königstreuen Vereinen organisiert, durchaus selbstbewusst auftraten.
    Â»A geh, Schmarrn«, antwortete Werner. »Aber eigenartig ist das Ganze schon.« Er wischte sich die Tropfen aus dem Gesicht.
    Inzwischen war auch der Pathologe eingetroffen. Dr.   Last kniete neben dem Toten nieder und begann ihn zu untersuchen.
    Â»Können Sie schon etwas über den Todeszeitpunkt sagen?«, fragte Werner.
    Â»Es ist doch jedes Mal das Gleiche mit euch!«, polterte der Arzt, scheinbar empört. »Sie wissen doch ganz genau, dass ich dazu noch keine Angabe machen kann. Noch dazu bei diesem Wetter!« Er zwinkerte. »So gegen Mitternacht, würde ich sagen.«
    Werner grinste und stupste Benno an. Aber der reagierte nicht, sondern strich sich nur mürrisch die nassen Haare aus der Stirn.
    Werner sah ihn kopfschüttelnd an: »Schau’n wir mal, dass wir ins Trockene kommen. Ich glaube, hier sind wir zunächst fertig. Ich geh jetzt als Erstes zu der Wohnung des Toten. In einer Stunde ist dann die erste Sitzung der Sonderkommission. Hanfstängl organisiert sie. Kommst du auch?«
    Â»Nein, ich hab einen Termin.« Benno drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging davon.
    Und ließ seinen Freund bass erstaunt zurück: Das war doch nicht Benno, oder?

4
    Kunigunde war noch immer nicht zufrieden mit ihrem Text. An manchen Stellen des Berichts schien der Faden der Ereignisse dünn zu werden und der Fluss der Logik zu versiegen. Dabei waren doch die letzten zwei Jahre bis zum Rand gefüllt gewesen mit Recherchen und Erkenntnissen, gewonnen in Archiven, aus der Literatur und in Gesprächen mit beteiligten Personen. Jetzt lag das Ergebnis ihrer Untersuchungen vor ihr, die Erstfassung ihrer Masterarbeit, bereit zur Korrektur.
    Sie nahm das Titelblatt in die Hand: »Forschungsarbeit zur Erlangung des Master-Titels an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Der Fall Novak als Beispiel für Fälle mit Todesfolge an der innerdeutschen Grenze vor dem Bau der Berliner Mauer 1961, verfertigt von Kunigunde Buchner«.
    Kunigunde hatte die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung sehr intensiv miterlebt. Bamberg lag nicht weit von jener unsäglichen Grenze entfernt, die Deutschland vierzig Jahre lang in zwei feindliche Lager zerrissen hatte. Immer wieder einmal war sie an diese Grenze gefahren, zuerst mit anderen Bambergern, kurz nachdem der erste Zaun errichtet worden war, später dann mit Freunden aus dem Ausland. Dann standen sie vor diesen immer perfekter und tödlicher gesicherten Zäunen und starrten hinüber in das unerreichbare Deutschland auf der anderen Seite und konnten es lange nicht glauben.
    Und dann kamen die Wende und die Öffnung der Grenze, und das war noch viel unglaublicher. Kunigunde hatte erst in diesem Moment realisiert, wie sehr sie sich mit dieser Grenze als unveränderlicher Tatsache abgefunden hatte. Wie fast alle saß sie an jenem unvergesslichen 9.   November 1989 weinend vor dem Fernsehapparat und hatte in den nächsten Tagen die ersten Besucher »von drüben« am Bahnhof und auf den Straßen in ihren Trabis willkommen geheißen, auf einen Kaffee eingeladen und neue Freundschaften geschlossen.
    Das überwältigende Hochgefühl, dieser Götterfunke der Freude, der damals für kurze Zeit tatsächlich »Millionen zu Brüdern« machte, verebbte nach einigen Wochen. Doch das Thema der deutschen Teilung ließ Kunigunde nicht mehr los. Sie las viel darüber, denn sie wollte mehr über die Hintergründe des Geschehens wissen. Wie hatte es eigentlich so weit kommen können, wer hatte sich das ausgedacht, und wer hatte es wie umgesetzt? Diese Fragen waren die grundlegende Motivation für ihren Entschluss gewesen, nach ihrer Pensionierung ein Seniorenstudium an der Bamberger Universität im Fach Geschichte aufzunehmen.
    Dabei holte der Fall Novak sie wieder ein und zog sie wie ein Strudel tief und tiefer in das trübe Meer der deutsch-deutschen Tragödie. Der Fall hatte sie schon 1995 fasziniert, als sie dem Prozess gegen den »Verräter« am Landgericht Bamberg beigewohnt hatte, und sie griff ihn als Thema ihres ersten Hauptseminarreferats wieder auf. Inzwischen schrieb sie seit vier Semestern darüber ihre Masterarbeit, mit der sie ihr Studium
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