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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat
Autoren: Anna Degen
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Biedermeiertisch, den sie als Schreib- und Esstisch benutzte. Und alles war bedeckt mit Staub.
    Und dann war sie fertig, und ihr Häuschen blitzte wie schon lange nicht mehr. Sogar die Fenster hatte sie geputzt, trotz des Regens. Aber die Lust auf Schreibtischarbeit hatte sich noch immer nicht eingestellt. Dabei war es inzwischen mollig warm, die Ausrede zog also nicht mehr. Sie lümmelte auf ihrem Schreibtischstuhl und kam sich vor wie ein schlapper, runzliger Luftballon, bar jeglicher Energie.
    Beim Aufräumen war ihr auch ein hübsch gebundenes Büchlein in die Hände gefallen, das Benno ihr letztes Weihnachten geschenkt hatte. »Zum Aufzeichnen unordentlicher Gedanken«, hatte er beim Überreichen in ihr Haar gemurmelt, »von deinem Berg für sein Tal.« Er liebte das Spiel mit ihren seltsam korrespondierenden Namen – Hanna Tal, Benno Berg –, und sie hatte es damals witzig gefunden.
    Am nächsten Morgen hatte sie in einem Anfall dichterischen Elans – ein weiteres Geschenk waren Christoph Lichtenbergs Aphorismen gewesen – hineingeschrieben: »Sudelsadelbuch. Mal Sudel, mal Sadel, mal Sudelsadel / das alles schreib ich ein in dieses Buch. / So Nachtgedanken, / ganz ohne Schranken, / ganz ohne Adel, / umkreisen mich, bis ich sie fast verfluch. / Drum schreib ich sie hier rein / und sperr sie damit ein. / Da soll’n sie im Verein / wie Berg’ und Täler sein.« Danach hatte sie das Büchlein weggelegt und vergessen.
    Jetzt betrachtete sie es unentschlossen. »Think positive!« , das sollte helfen, so sagte man doch. Also nahm sie ihren Tintenstift und schrieb:
    Â»Was ist schön? Wenn du lange im Bett gelesen hast und deine Arme durch die kühle Luft vom Fenster her ganz kalt wurden, und du legst das Buch weg und löschst das Licht und steckst die Arme unter die Decke in deine eigene Wärme und spürst, wie sie beginnen, wieder zu dir zu gehören – das ist schön.
    Was ist schön? Wenn du vor einem Rosenstock stehst und hältst deine Hände unter eine reife Blüte, die durch die leichte Erschütterung ihre Blätter fallen lässt, in deine Hände, diese unendlich zarte Berührung deiner Handflächen – das ist schön.
    Was ist schön? Wenn du durch ein fernes Fenster zwei Töne hörst und erkennst sofort die Melodie, die folgen wird, und sie faltet sich in dir auf und macht dich singen – das ist schön.«
    Na schön, ganz schön. Aber es half nicht.
    Hanna hockte sich auf den Boden vor die geschlossenen Flügeltüren und starrte durch das Balkongitter auf die Regnitz. Längst waren die Glockentöne vom Morgenläuten des Doms grün und schwer im Fluss versunken, und Enten zogen drüber hin. Hanna war so gerührt von ihrem tapferen Versuch, positiv zu denken, dass ihr die Tränen kamen, und sie schluchzte und begann, immer wieder erneut zu weinen, bei der Vorstellung, wie einsam Benno ohne sie wohl war. Ach, Scheiße!

3
    König Ludwig übersah mit majestätischer Gelassenheit, gestützt auf sein Schwert und umwallt von den Falten seines bronzenen Mantels, das ungewöhnliche Geschehen zu seinen Füßen. Das Metallgrau der Statue hob sich nur wenig ab von der Düsternis des Hains mit seinen tropfenden Bäumen, in die die Scheinwerfer der Fotografen ein helles Dreieck schnitten. Drei Stufen führten zu einer mit mächtigen Steinplatten ausgelegten Fläche vor dem Sockel des Königs. Weiß verhüllte Spurensicherer untersuchten die moosbemützten Steinsäulen neben den Treppenstufen, die Steinbänke in den halbrunden Mauern, die das Unterholz vom Plateau des Königs abhielten, und die wassergefüllten Fußspuren im weichen Wiesenboden.
    Auf der obersten Stufe lag wie aufgebahrt die Leiche eines jungen Mannes, lang ausgestreckt mit auf der Brust gefalteten Händen. Das pietätvolle Bild wurde nur etwas dadurch gestört, dass dem Jungen die eine Hälfte des Gesichts fehlte. Das Blut auf den Treppenstufen und unter dem Kopf des Toten vermischte sich mit dem Regen und begann, im Boden zu versickern. Einsatzleiter Kriminalhauptkommissar Werner Sinz stand auf einer Steinplatte, wo er keine Spuren verwischen konnte, und betrachtete intensiv die Leiche.
    Werner Sinz kam dem Idealbild eines Polizisten gefährlich nahe: groß, breitschultrig, muskulös. Sein gut aussehendes Gesicht
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