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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat
Autoren: Anna Degen
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abschließen wollte.
    Sie legte das Titelblatt beiseite und betrachtete seufzend die beiden Transportwagen voller Akten, die im Lesesaal des Staatsarchivs neben ihrem Tisch standen. Fünfunddreißig Bände, die westdeutschen in rosa Aktendeckeln, die ostdeutschen in gelben – Unterlagen des Landgerichts Bamberg und des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR . Vor allem die gelben Monster demonstrierten fast absurde deutsche Gründlichkeit: Jeder Belegzettel, Hunderte abgefangener Briefe samt Briefumschlag, jede Lageskizze waren fotokopiert und abgeheftet worden, dazu Vernehmungsprotokolle, Zeugenaussagen, geheimdienstliche Treffberichte, Gerichtsverhandlungsmitschnitte, Urteile.
    Vor Kunigunde türmte sich die Aufgabe, all ihre Quellenbelege anhand der Akten noch einmal zu überprüfen. Das gehörte zu den langweiligen und widerlichen Notwendigkeiten wissenschaftlicher Arbeit. Im späteren Verlauf ihrer Arbeit hatte sie sorgfältig darauf geachtet, bei jedem Zitat, das sie abschrieb, sofort exakt die Stelle, wo sie es gefunden hatte, hinzuzufügen. Doch anfangs hatte sie oft erst abends beim Durchlesen ihrer Exzerpte das Fehlen von Band- und Seitenzahlen bemerkt, so fasziniert und aufgewühlt war sie gewesen von der Geschichte, die sie bearbeitete.
    Würde es ihr gelingen, diese Faszination auf den Leser überspringen zu lassen?
    Einleitung
    Was ist Verrat? Zunächst einmal ist Verrat ein subjektiv schillernder Begriff. Er hat fast immer zwei Seiten, die abhängig vom Standort des Betrachters hell oder dunkel sind. Wer für den einen ein Verräter ist, ist für den anderen oft ein Freiheitsheld. Stauffenberg war für die Nazis der größte Verräter, für uns heute ist er ein Symbol des Widerstands und des »besseren Deutschland«. Er und seine Mitverschworenen gelten als Leuchttürme der »hellen Seite des Verrats«, Menschen, die ihr Leben opfern, um andere Menschen zu retten.
    Doch gemeinhin wird Verrat als etwas Böses empfunden. Im 19. und 20.   Jahrhundert, in Zeiten ausgeprägter politischer Ideologien, spielte Verrat eine wichtige, oft blutige Rolle und hat viel Leid verursacht. Aber wie soll man ihn definieren, wie die helle und die dunkle Seite in den Griff bekommen? Margret Boveri, die berühmte Journalistin (1900   –   1975), hat vier Bände über den »Verrat im 20.   Jahrhundert« verfasst, »ohne sich die Frage vorzulegen, worüber sie schreibt«, wie Urs Jaeggi, der Schweizer Soziologe (*1931), in seinem »Versuch über den Verrat« kritisiert. Aber auch ihm ist dieser Versuch nicht wirklich gelungen. Er beschäftigte sich vor allem mit der subjektiven Seite des Verrats, dem Verrat an sich selbst, ohne dabei zu einer einigermaßen schlüssigen These zu kommen, was Verrat denn nun sei.
    Bei einer kleinen privaten Umfrage, die ich unter Freunden und Bekannten veranstaltete, woran sie beim Wort »Verrat« dächten und ob sie schon einmal verraten worden seien, kamen sehr häufig Geschichten aus der Kindheit zum Vorschein, Situationen, in denen sie sich von einer Lehrerin, von Eltern, Geschwistern oder einem Freund verraten gefühlt hatten, Menschen, denen sie absolut vertrauten und die dieses Vertrauen enttäuschten. Das scheint mir der tiefste Kern des Verrats: enttäuschtes Vertrauen. Ein solcher Vertrauensverlust tut bitter weh, frisst lange an den Seelen und gebiert Schlangen.
    Bei meiner weiteren Frage nach dem Prototyp eines Verräters tauchte immer wieder Judas auf, der Mann, der seinen Freund Jesus für dreißig Silberlinge an seine Feinde verriet. Beide Urmotive des Verrats, das enttäuschte Vertrauen und der schändliche, schäbige, verabscheuenswürdige Verrat am Freund, finden sich in kristalliner Form verdichtet wieder im »Fall Novak«.
    Der Anlass, dieses Buch zu schreiben, war ein für mich unvergessliches Erlebnis. 1995 fand vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Bamberg der Prozess gegen den »Verräter« Hans Kromm statt. Ich hatte in der Zeitung von diesem Prozess gelesen, der mir zeitgeschichtlich so bedeutsam vorkam, dass ich mir freigenommen und rechtzeitig einen Platz im Gerichtssaal reserviert hatte.
    Kunigunde hielt inne und schaute durch die Sprossenfenster des Lesesaals hinaus in den Regen. Damals hatte es auch geregnet, und sie hatte durch die hohen Bogenfenster des Schwurgerichtssaals beobachtet, wie das Wasser
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