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Bamberger Verrat

Bamberger Verrat

Titel: Bamberger Verrat
Autoren: Anna Degen
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gäbe.«
    Â»Und wer ist das? Ich hab tatsächlich noch nie von einem Franz Novak gehört.«
    Â»Er wurde wegen irgendetwas in der DDR hingerichtet. Ich habe Frau Krüger schon gebeten, das zu recherchieren.«
    Â»Gute Idee!«
    Â»Allerdings ist Frau Gerstner nur seine uneheliche Tochter, mit der Schneiderin Marga Gerstner. Ihre Mutter habe sie – ich zitiere – ›abgöttisch geliebt‹ und ihr ›entzückende Kleidchen genäht‹. Sie hat dem Kind frühzeitig das Nähen beigebracht und sah in ihr schon ›eine zweite Coco Chanel‹. Leider hat Marga Gerstner aber auch den Alkohol etwas sehr geliebt. Angeblich hat sie den Tod von Franz Novak nicht verwinden können. Darüber aber hat sie dann die Tochter so vernachlässigt, dass die zwischendurch fast verhungert wäre. Schließlich hat der ältere Bruder von Franz Novak sie ihr weggenommen.«
    Werner lehnte mit den Händen in den Hosentaschen wieder an seinem Lieblingsplatz an der Wand gegenüber der momentan dunklen Spiegelscheibe zum Vernehmungsraum.
    Â»Ging das denn einfach so, ein Kind seiner Mutter wegzunehmen?«
    Â»Er scheint jedenfalls keine Schwierigkeiten gehabt zu haben.«
    Â»Na, dann ging es ihr von da an wohl besser!«
    Â»Nein, das kann man nicht behaupten. Denn Wilhelm Novaks Frau war überhaupt nicht begeistert von dem zweifelhaften Balg, das sie da aufgehalst bekam. Warte mal, das Folgende ist so charakteristisch, dass ich dachte, du müsstest es dir ansehen. Ich habe das Band schon bis dahin vorlaufen lassen.«
    Claudia Jung schaltete das Videogerät an. Man sah Rita Gerstner fast neckisch in die Kamera blinzeln. Sie strich eine ihrer goldenen Haarsträhnen über die Schulter zurück und antwortete offensichtlich auf eine Frage, die Claudia Jung ihr gestellt hatte.
    Â»Ja, als ich fünf war, hat mein Onkel Wilhelm mich zu sich geholt. Das hat Tante Dorette ihm nie verziehen. Sie hat mich tadelfrei versorgt, das schon, aber sie mochte mich nicht. Sie hat mich nie, niemals angefasst oder auch nur angelächelt.« Rita Gerstner senkte den Kopf und ließ ihr Haar als Vorhang über das Gesicht fallen, hinter dem sie sich diskret die Augen wischte. »Lachen gab es nicht bei Tante Dorette. Man erfüllte seine Pflicht, und damit hatte es sich. Sie starb, als ich dreizehn war, an Magenkrebs, unter grässlichen Qualen. Ich war sehr froh darüber.«
    Man hörte Claudia Jung aus dem Hintergrund fragen: »Sie waren froh über den Tod Ihrer Tante?«
    Rita Gerstner verzog zynisch den Mund. »Nein, ich habe es genossen, wie sie sich quälen musste. So wie sie mich gequält hatte. Das war nur gerecht! Gerechtigkeit steht über allem! Das ist doch auch der Zweck Ihres Berufs, Gerechtigkeit herzustellen, nicht wahr?«
    Claudia Jung räusperte sich. »Hm, sicher. Und … und wie kam Ihr Onkel Wilhelm mit der Situation zurecht?«
    Â»Ach, der. Nach Tante Dorettes Tod begann er, sich um mich zu ›kümmern‹.« Dieses »kümmern« klang sehr bitter. »Vorher hatte ich ihn selten zu Gesicht bekommen. Er war viel unterwegs, seine Arbeit war ihm sehr wichtig. Jetzt also ›kümmerte‹ er sich. Das sah so aus, dass ich den Haushalt machte, und er kam abends heim und kontrollierte, ob ich es richtig gemacht hatte.«
    Rita Gerstner wickelte gedankenverloren eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger. »Onkel Wilhelm war ein eigenartiger Mann: Er funktionierte, er funktionierte wie ein gut geöltes Uhrwerk. Aber so etwas wie lebendig wurde er nur, wenn er von seinem kleinen Bruder sprach. Und das tat er häufig nach Tante Dorettes Tod.« Ihre Stimme hatte das Gewollte verloren; sie erzählte, als hätte sie die Szene unmittelbar vor Augen. »Abends, wenn er zwei, drei Bier getrunken hatte, fing er an, von ihm zu reden, was er getan hatte, was er gesagt hatte. Immer die gleichen Geschichten. Und jedes Mal endete die Sache damit, dass er anfing, den Verräter zu beschimpfen, diese elende Ratte, dieses Schwein, diesen Judas, der seinen besten Freund ans Messer geliefert hat.«
    Sie biss sich auf die Lippen und schüttelte langsam den Kopf. »So heftig wurde er sonst nie. Normalerweise war er immer sehr steif; er fragte mich nach meinen Schulnoten und Sportergebnissen. Und wenn die gut waren, klopfte er mir auf die Schulter und sagte: ›Du siehst genauso aus wie dein Vater,
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