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Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Baltasar Senner 03 - Busspredigt

Titel: Baltasar Senner 03 - Busspredigt
Autoren: Wolf Schreiner
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Nachbarn. Stiften Sie eine Kerze oder was man halt so tut als Pfarrer. Und wenn Sie jetzt bitte den Platz räumen würden, wir wollen das Gelände absuchen.«
    Baltasar schlüpfte unter dem Absperrband durch. Es hatte sich eine Reihe Schaulustiger eingefunden, ein Rentnerpaar, eine Gruppe Jugendlicher mit Bierflaschen in den Händen, eine Mutter mit Kinderwagen.
    Als er in seinen Wagen einsteigen wollte, fiel ihm seine Autoantenne auf. Jemand hatte sie in Herzform verbogen, was nicht weiter schlimm war, denn sie war ohnehin nur eine Notlösung aus einem Drahtkleiderbügel. Das Original hatte bereits die Vorbesitzerin abgebrochen. Baltasar bog die Antenne wieder gerade. In einiger Entfernung feixten die Jugendlichen, sie prosteten ihm mit ihren Flaschen zu. Er beachtete sie nicht weiter.
    *
    Die ganze Heimfahrt über war Baltasar in Gedanken versunken.
    Der Anblick seines toten Freundes hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt. Anton Graf war das Opfer eines Verbrechens geworden, offenbar nur wenige Stunden, nachdem er bei ihm im Pfarrheim zu Besuch gewesen war und den Scheck überreicht hatte. Graf hatte über etwas sprechen wollen, etwas, was mit dem Mord zu tun hatte?
    Er würde es nie erfahren.
    Oder doch? Baltasar dachte an die Mahnung des Kommissars, sich aus der Sache herauszuhalten. Konnte er, Baltasar Senner, das wirklich? Anton Graf war sein Nachbar, sein Freund. Er hatte ihm das Leben gerettet, als er dort oben im Kirchturm gelegen hatte. Und die noble Spende zur Reparatur nicht zu vergessen. Er war es Graf einfach schuldig, dafür zu sorgen, dass der Schuldige gefunden wurde. Andererseits: Auf die Arbeit der Kriminalpolizei konnte er vertrauen.
    Und wenn doch nicht? Wenn die Beamten etwas übersahen? War es nicht gewissermaßen eine Christenpflicht, die Staatsdiener bei ihren Ermittlungen zu unterstützen? Natürlich ganz diskret, er war schließlich Pfarrer von Beruf.
    Die Gerechtigkeit musste auf Erden durchgesetzt werden, hier und jetzt, das konnte nicht bis zum Jüngsten Tag warten, da war jeder aufgerufen, etwas zu tun, auch ein katholischer Geistlicher. Der liebe Gott würde schon Verständnis für die Schwäche seines Dieners haben. Das hoffte Baltasar zumindest und bat im Voraus um Vergebung. Danach fühlte er sich schon viel besser.
    4
    D er Tod seines Nachbarn hatte ihn mehr mitgenommen, als er sich zuerst eingestehen wollte. Es war ein Schmerz, eingekapselt in seinem Inneren, eine Glut, die nicht zu löschen war und seine Seele verbrannte.
    Baltasar versuchte, sich abzulenken. Er holte einen Block und notierte »Ideen für die nächste Predigt«. Das weiße Blatt starrte ihn an. Er glaubte, Anton Grafs Gesicht darauf zu erkennen.
    Eine halbe Stunde später hatte er immer noch kein einziges weiteres Wort niedergeschrieben. Er spülte zwei Tassen ab. Hörte er Antons Stimme aus dem Rauschen des Wassers?
    Baltasar rief nach Teresa, aber die Haushälterin war unterwegs, gerade jetzt, wo er jemanden zum Reden brauchte.
    Auch wenn es nicht der richtige Zeitpunkt war, erst später Nachmittag, er wollte, ja, er musste etwas tun.
    Aus dem Schrank holte er die Utensilien, mehrere Dosen Weihrauch, Streichhölzer, eine Kohletablette und eine Messingschale. Er entschied sich für die Sorte »Eritrea-Tränen«, rührte etwas Kamille darunter und legte die Mischung auf die Kohle, ganz vorsichtig, so wie er früher mit seiner Mutter beim Backen der Weihnachtsplätzchen immer den Teig auf die Oblaten tupfte. Nur das Spezialgewürz fehlte noch, er bewahrte es in seinem Geheimversteck auf. Das erst gab der Mixtur die richtige Offenbarung.
    Die Kohle glühte, Baltasar nahm die ersten Atemzüge, allmählich löste sich seine Anspannung. Welch himmlische Mischung! Einatmen. Ausatmen. Der Rauch schien sich den Weg durch seine Nase, durch seine Lunge direkt ins Gehirn zu bahnen, ein Rohrreiniger für die Gedanken. Einatmen. Ausatmen.
    Das Gesicht seines Nachbarn verschwand, dafür nistete sich das Bild der Jungfrau Maria ein, zur Linken ein Schweinsbraten, zur Rechten eine Maß Bier, die heilige niederbayerische Dreifaltigkeit – oder war es das Bild von Victoria Stowasser? Andere Figuren rückten in den Vordergrund, sein Vater im Laden, wie er Würste schnitt, seine Mutter spielte Geige dazu – oder war es die Muttergottes in ihrer Barmherzigkeit?
    Egal, das Leben war ein Rausch der Bilder, eine Aneinanderreihung von Theaterstücken, mal groß, mal klein, mal Komödie, mal Drama. Und am Ende fiel der Vorhang, es
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