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Bädersterben: Kriminalroman

Bädersterben: Kriminalroman

Titel: Bädersterben: Kriminalroman
Autoren: Kurt Geisler
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auf die Insel reisen.
    Im Internet hatte er gelesen, dass durch den Helgoland-Sansibar-Vertrag der Fels vor mehr als hundert Jahren von den Briten gegen die Gebietsansprüche der Deutschen in Ostafrika eingetauscht worden war. Ob das ein guter Handel gewesen war? Auf der Insel lebten wenig mehr als 1.000 Einwohner, und die Fotos waren ziemlich nichtssagend. Wenn man einen Klotz von vier Seiten fotografiert, wird der auch nicht interessanter. Lange hatte er allerdings nicht recherchiert, dazu war das Wetter viel zu schön. Im Liegestuhl kam ihm die Erinnerung an eine ehemalige Serie im Fernsehen, schwarz-weiß noch, Familie Schölermann oder so. Er konnte sich noch schwach erinnern, dass es seinerzeit auf Helgoland irgendwie keinen richtigen Anleger gab und dass man dort ausgebootet wurde. Also vom großen Schiff zwangsweise in kleine Boote verfrachtet wurde, die einen auf die Insel brachten, was Mutter Schölermann in hysterische Zustände versetzte. In ihrer Panik klammerte sie sich an einem der Bootsleute fest, dem das keineswegs angenehm war.
    ›Lat los, Muddi. Lat los!‹ Mutter Schölermann ließ aber nicht los. Eine Werbung für die Insel war das damals natürlich nicht, befand Stuhr, aber dieser Zustand würde inzwischen sicherlich überwunden sein. Auch der Flugbetrieb war sicherlich der heutigen Zeit entsprechend automatisiert. Radar, ILS, GPS, vermutlich alles dreifach gesichert. In die Maschine hinein, Gehirn ausschalten und nach der Landung schnell wieder heraus. Ein Kinderspiel.
    Er genoss erneut den einmaligen Blick auf die Nordseekulisse. Dann nahm er sein Handy und rief seinen ehemaligen Oberamtsrat Dreesen an. Er war ihm tief verbunden, denn Dreesen hatte früher für ihn immer alle verwaltungstechnischen Probleme innerhalb der Landesverwaltung gelöst. Zudem kannte er Gott und die Welt.
    Dreesen nahm schnell den Hörer ab und grüßte ihn gewohnt herzlich. »Stuhr, du alter Sack! Wie geht es dir?«
    Die Herzlichkeit gab Stuhr postwendend zurück. »Gut, du alter Faulpelz. Ich bin wie immer hart am arbeiten. Und selbst?«
    »Von wegen Faulpelz. Ich schiebe hier gewaltige Probleme vor mir her. Ich kriege den Mittelabfluss dieses Jahr nur schlecht geregelt, und bis zum Kassenschluss sind es nur noch fünf Monate hin. Es ist so viel dieses Jahr.«
    Stuhr hatte wenig Mitleid. »Dann scheinst du zu viel Haushaltsmittel eingeworben zu haben – wäre ja nichts Neues. Konntest einmal wieder den Hals nicht voll kriegen, was? Selbst gewähltes Schicksal!«
    »Von wegen selbst gewählt. Ich habe wie jedes Jahr nur 30 Prozent über den Durst angemeldet, doch trotz der laufenden Finanzkrise und den fehlenden Milliarden für die Sanierung der Landesbank haben sie mir völlig unerwartet die volle beantragte Summe zugewiesen. Angeblich, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die im Finanzministerium ticken doch nicht mehr ganz richtig. Das ist eine echte Sauerei, was soll ich denn nur mit der ganzen Kohle machen? Ich kann wohl schlecht Bleistifte kaufen, oder?«
    »Wo liegt da das Problem? Ihr habt genug Abteilungen und Referate, die nur darauf warten, für irgendwelchen Schwachsinn unsere Steuergelder in Windeseile zu verschleudern. Ihr macht doch das ganze Jahr nichts anderes.«
    Dreesen meldete sich mit belegter Stimme zurück.
    »Ach, Stuhr, seit du aus der Staatskanzlei weg bist, macht das alles keinen Spaß mehr. Die Vermerke von den Jungspunden hier werden immer länger. Ihre modernistische Verwaltungssprache sorgt dafür, dass alle Sachverhalte immer austauschbarer werden. Jeder Vermerk dieser Grünschnäbel ist inzwischen ein Lexikon der Floskelatur. Die wollen sich profilieren und geilen sich lediglich an der Seitenzahl ihrer Tintenpisserei auf. Wer soll den ganzen Scheiß denn überhaupt noch lesen?«

    Sein ehemaliger Oberamtsrat schien sich zum ersten Mal, seit er ihn kannte, dienstlich ernsthaft in der Klemme zu befinden. Stuhr hatte in irgendeinem Personalentwicklungsseminar, das ihm seinerzeit noch im Landesdienst aufgedrängt worden war, vermittelt bekommen, dass man in solchen ungewöhnlichen Fällen tatsächlich untergeordnete Mitarbeiter anhören sollte. Stuhr hatte das natürlich immer getan, und offensichtlich brauchte sein alter Oberamtsrat jetzt einen besonderen Anstoß.
    Doch Dreesen setzte seine Rede unbeirrt fort. »Es ist hier nicht mehr zum Aushalten. Die Vorgesetzten haken diesen unverdaubaren, in Papier gegossenen Dünnschiss meistens ungelesen ab, und wir, die Arbeitsebene, müssen dann die
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