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Bädersterben: Kriminalroman

Bädersterben: Kriminalroman

Titel: Bädersterben: Kriminalroman
Autoren: Kurt Geisler
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Seitdem regnete es ununterbrochen.
    Aus diesem Grund schloss Achim Pahl die Arche schon früh am Nachmittag, und Hein musste seinen Wachdienst eher als sonst antreten. Gegen Abend begannen die Regenwolken immer schneller über den Strand zu jagen. Hein nahm das sorgenvoll zur Kenntnis, denn er wusste, dass nach Vollmond die Flut höher auflaufen würde. Diese Springflut konnte zusammen mit dem starken Wind, der immer mehr Wasser in die Deutsche Bucht hineindrückte, für die hölzernen Pfahlbauten durchaus gefährlich werden. Folgerichtig ächzte und krächzte der Pfahlbau zunehmend, und von mancher Welle wurde er bereits merklich geschüttelt.

     
    Normalerweise war das jetzt genau der richtige Zeitpunkt, eine Mütze voll Schlaf zu nehmen. Doch Hein beunruhigte zunehmend ein Geräusch, das er nicht einordnen konnte. Da war es schon wieder! Er lauschte angestrengt, und wieder hörte er dieses unregelmäßige, heftige Schlagen von unten gegen den Holzboden, als wenn der Klabautermann ihn leibhaftig aufsuchen wollte. Bisweilen konnte er ein entferntes Wimmern ausmachen, das kaum nur vom Wind herrühren konnte.
    Er untersuchte den Gastraum noch einmal sorgfältig. Sogar die Stühle zog er unter den Tischen hervor, denn es war nicht auszuschließen, dass sich ein kleines Kätzchen hier vor dem Unwetter versteckt hatte. Hein fand aber nichts. Dann meinte er, unter dem Holzboden ein heftiges Stöhnen vernommen zu haben. Er lief mehrfach zu den Fenstern. Weit konnte er zwar in der Dunkelheit nicht sehen, doch er musste feststellen, dass die Nordsee bereits jetzt die Holztreppe weitgehend verschluckt hatte und Gischt über den Terrassenboden stob. Nein, unter ihm konnte sich niemand mehr aufhalten, so viel war sicher. Sorgenvoll beäugte Hein den Gastraum der von der Nordsee gequälten Arche. Immer wieder spritzte Gischt an die Scheiben, und aus einigen Fußleisten quoll bisweilen etwas Seewasser in die Gaststube. Der Sturm tobte jetzt so laut, dass die anderen Geräusche im Getöse untergingen. Angst hatte er immer noch nicht, die Pfahlbauten konnten so einiges ab. Gut einen Meter würde die Flut schon noch steigen müssen, bevor er wieder auf das Dach klettern müsste. Hein Timm schielte immer wieder auf seine Uhr. Sollte er nicht vorsichtshalber Achim anrufen?
    Nein, er wurde schließlich dafür bezahlt, hier aufzupassen. Und Achim brauchte seinen Schlaf – wozu sollte er ihn mitten in der Nacht wecken? Hein wurde nachdenklich. Ob der Achim gut klarkam? Er redete nie über Geld. Eigentlich konnte er hier draußen auf dem größten Sandstrand an der deutschen Nordseeküste fast jeden Preis verlangen, denn die nächste Restauration war kilometerweit entfernt. Andererseits wechselte das Personal recht häufig und schien auch nicht besonders gut ausgebildet zu sein. Im Ort wurde hinter vorgehaltener Hand erzählt, dass ein Kellner einem kippelnden Bengel einfach den Stuhl unter dem Hintern weggezogen haben soll, mit der Bemerkung, dass der Stuhl schließlich voll bezahlt sei. Hein fand das eigentlich nicht so schlimm, denn aus seiner eigenen Jugend wusste er, dass zappelnde Bengel durchaus eine Plage sein konnten. Vielleicht hatten ihn seine Eltern gerade deswegen an das harte Brot der Fischerei vermittelt.
    Seine Eltern waren allerdings schon lange verstorben, doch ab und zu besuchte er natürlich noch ihr Grab. Wer außer dem lieben Gott konnte schon wissen, aus welchen Gründen seine Eltern ihn letztendlich zum Fischereigewerbe gebracht hatten? Hatten sie seine ständige Unruhe durch harte Arbeit dämpfen wollen, hatten sie nichts Besseres gewusst oder ihn einfach nur aus dem Haus haben wollen?

     
    Die Ehe seiner Eltern war für ihn sowieso ein einziges Rätsel. So ganz freiwillig schienen sie nicht zusammengekommen zu sein, aber irgendwie hatten sie sich bis zum Ende auch nicht mehr losgelassen, obwohl sie sich häufig gestritten hatten. Vater hatte ganz gern mal einen genommen, und Mutter fand das selten lustig. Seine Mutter war eine gebürtige Assmussen gewesen. Den Namen fand er schon früh besser als seinen eigenen Nachnamen. Assmussen konnte auf Piratenherkunft schließen lassen oder auch eine Flensburger Rummarke sein. Timm, das klang dagegen irgendwie mehr hamburgisch. Jetzt lagen beide notgedrungen friedlich nebeneinander im Grab und hüteten ihre Geheimnisse für alle Ewigkeit. Aber Hein wusste natürlich, dass auch die meisten anderen Familien, nicht nur an der Westküste, ihre wohlbehüteten Geheimnisse
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