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Bad Hair Days - das Leben ist keine Dauerwelle

Bad Hair Days - das Leben ist keine Dauerwelle

Titel: Bad Hair Days - das Leben ist keine Dauerwelle
Autoren: Ravensburger
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schmeichelnd für jede Gesichtsform. Ich stufte das Haar oben durch und ging langsam von den hässlichen Flauschbüscheln, die Tante Lilah in den letzten dreißig Jahren geschnitten hatte, zu immer längeren Stufen über. Hinten nahm ich die langen Strähnen weg und schnitt die Nackenpartie scharf in einem 45°-Winkel aus, was dem Haar Fülle verlieh und Mums Kieferlinie weicher erscheinen ließ. Vorn hielt ich die Stufen länger und kreierte so einen Seitenscheitel. Die kurzen Partien formte ich zu einem fransigen Pony.
    Um halb neun war ich fertig. Länger brauchte ich nicht, um Mum den ersten vorzeigbaren Haarschnitt in ihrem ganzen 48-jährigen Leben zu verpassen.
    »Fantastisch, Sadie – das hast du gut gemacht! Aber wie soll ich Lilah beibringen, dass ich jetzt eine neue Friseurin habe?«
    »Weißt du, Mum, Tante Lilah hat dir immer die Frisur gemacht, die du wolltest«, sagte ich diplomatisch. »Aber leider war es die falsche. Und heute Morgen konnte ich dir zum Glück endlich die richtige machen. Die, von der du gar nicht wusstest, dass du sie willst.«
    »Also jedenfalls gefällt es mir.«
    »Ja, aber der Schnitt braucht Pflege. Du darfst dein Haar nicht rauswachsen lassen, bis es splissig und ungepflegt wird. Das ist eine Frisur, die von einem Profi in Form gehalten werden muss.«
    »Okay«, sagte sie. »Du hast gewonnen. Ich gebe mich geschlagen.«
    Ich übte schon mal meine professionellen Tricks an Mum – trichterte ihr ein, was ich später meinen Kundinnen in meinem Friseursalon sagen würde. Der Erfolg war durchschlagend. Immer wenn Mum in der nächsten Stunde an einem Spiegel vorbeiging, ertappte ich sie dabei, wie sie rasch ihre Frisur kontrollierte, mit der Hand hinfasste und eine Strähne hierhin oder dorthin schob.
    Der Haarschnitt war eine gute Ablenkung gewesen, aber um halb zehn hatte ich schon fast ein Loch in den Teppich gestanzt vor lauter Hin-und-her-Rennen, und Mum hatte mindestens vierzehn Tassen Kaffee getrunken. Um 9:45 Uhr hielt ich es nicht länger aus.
    »Können wir ihn jetzt endlich anrufen?«
    »Also gut«, sagte Mum, »aber es ist immer noch früh für Samstag.«
    »Er ist doch Gärtner«, sagte ich. »Er ist bestimmt schon wach.«
    »Möglich. Aber vielleicht möchte er heute Morgen mal ausschlafen.«
    »Er ist auf, das weiß ich.«
    Und er war tatsächlich auf. Mehr oder weniger jedenfalls.
    Meine Hand zitterte leicht, während ich das Telefon an mein Ohr hielt. Ich stellte es laut und der Lärm erschien mir ohrenbetäubend, als er antwortete.
    »Hallo?«, sagte eine Männerstimme. Sie klang leicht heiser und krächzig. Dann räusperte er sich und sagte noch einmal »Hallo?«, aber diesmal mit klarerer Stimme.
    Ich saß nur da, das Telefon am Ohr, in totaler Schockstarre, wie immer wenn ich mit einem meiner Dad-Verdächtigen redete. Mein Mund war staubtrocken, meine Zunge klebrig und dick. Mum beugte sich vor, um mir den Hörer aus der Hand zu nehmen, und das brachte mich auf Trab.
    »Hi«, sagte ich. »Hier ist Sadie Nathanson.«
    Längere Pause am anderen Ende der Leitung. Und dann:
    »Sadie! Hallo, hier ist Abe!«, sagte Abraham Smith. Er klang total nett. Ich atmete auf, war schon beinahe entspannt.
    »Oh, gut«, sagte ich, »ich hatte gehofft …«
    »Wie geht’s dir? Dann hast du also meinen Brief bekommen. Nach deiner letzten E-Mail hatte ich schon Angst, dass du nichts mehr von mir wissen willst …«
    »Ja, ich hab den Brief gestern bekommen, vielen Dank.«
    »Das ist alles ziemlich aufregend«, fuhr Abe fort. »Und ein bisschen überraschend. Ich meine das positiv.«
    »Ja, es ist wirklich eine Überraschung«, sagte ich.
    »Und du hast mich gefunden …«
    »Ja, also, Billy – das ist mein Cousin – und ich, wir haben Sie zusammen gefunden. Wir haben Sie auf der Website aufgespürt und Sie hatten immer noch dieselbe E-Mail-Adresse.«
    »Ja, stimmt, die hab ich noch«, bestätigte Abe. »Schön, mit dir zu sprechen, Sadie. Ich freue mich so, dass ich endlich deine Stimme höre. Ich hab die ganze Zeit an dich gedacht, seit ich die Mails bekommen habe, weißt du?«
    »Ich freu mich auch«, sagte ich.
    Ich hätte ihm gern gesagt, dass ich auch die ganze Zeit an ihn gedacht hatte, aber das erschien mir nicht richtig, weil ich ja an meinen »Dad« gedacht hatte und nicht an diesen Abe Smith, der am anderen Ende der Leitung war. Und ich hatte ihn ja noch nicht gesehen und wusste nicht, was für ein Mensch er war und wie er aussah und so. Also plauderten wir ein
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