Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Sache: Man erlebt alles mit und gehört doch nicht mehr dazu.
    Mit stummem Protest sah und hörte Babkin, wie Nina Romanowna alle, die im Basar einkauften, und das waren um diese Tageszeit meistens Frauen, aus dem Laden jagte und dann die große Tür zum Marktplatz abschloß. Verblüfft sah er auch, wie sein Frauchen zu einer Flasche Himbeerlikör griff und zwei kräftige Schlucke daraus trank. Nach dieser Stärkung verließ sie den Laden.
    Babkin hörte die Hintertür zufallen, und dann lag er allein vor dem Regal mit den Wasch-, Putz- und Scheuermitteln und ärgerte sich maßlos, daß das Scheuermittel ›Blitz aus Kasan‹ falsch ausgezeichnet war – um drei Kopeken zu niedrig.
    Wenn man nicht alles selber tut, dachte er. Von vorn bis hinten wird man betrogen!
    Da lag er nun, der gute Babkin, und fragte sich, wie es weitergehen sollte.
    Er hatte schon vor vielen Toten gestanden und viele Särge zum Friedhof begleitet, aber es ist ein großer Unterschied, ob man selbst in solch einem Kasten liegt oder nur hinter ihm hergeht. Vor allem aber ist es bei der Erkenntnis, daß man als Toter alles sehen, hören und riechen kann, äußerst peinlich, sich an gewisse Dinge zu erinnern, zu denen nur Lebende fähig sind.
    Da war damals zum Beispiel Oleg gestorben. Oleg Ardamatskij, der Erste Sekretär in der Stadtverwaltung. Babkin hatte an seinem Sarg gestanden, hatte Abschied genommen und leise zu dem Toten gesagt: »Das hast du nun von deiner ewigen Hurerei … Herzschlag! Hab ich dich nicht immer gewarnt, du Bock?«
    Peinlich ist das, sag ich euch, Genossen. Wirklich peinlich. Ardamatskij hat's ja gehört …
    Oder Xenia Romasowna, das ärgste Klatschweib von Ulorjansk. »Endlich ist dein Schandmaul stumm …« hatte Babkin an ihrem Sarg gemurmelt. »Wenn ich Gott wär', würde ich dir oben im Himmel die Lippen zusammennähen …«
    Peinlich, peinlich …
    Nun bin ich aber gespannt, was sie an meinem Sarg sagen werden, dachte Babkin. Und man muß daliegen und alles anhören, ohne ihnen ins Gesicht spucken zu können. Das wird die erste Qual der Hölle sein, verlaß dich darauf, Wadim Igorowitsch …
    Er dachte noch an hundert andere Dinge, als Nina wieder in den Laden stürzte, gefolgt von Väterchen Sidor, dem Popen.
    »Da liegt er«, jammerte sie und zerriß ein Taschentuch zwischen ihren Händen. »Fällt einfach um und ist tot! Kann man das begreifen? O Väterchen, was soll ich tun?«
    »Beten und den Arzt bestellen.« Waninows schwarzer Baß, der bei den liturgischen Gesängen in der Kirche alle anderen übertönte, strotzte vor Kraft. Er kniete sich neben Babkin nieder, zeichnete das Kreuz auf des Toten Gesicht und sprach murmelnd ein Gebet.
    Nina wartete, bis er fertig war, und sagte dann: »Dr. Poscharskij wird gleich kommen. Soll ich jetzt unsere Kinder rufen?«
    »Nicht hier, vor einem Waschmittelregal. Wir tragen ihn in sein Bett, und dort soll man ihn dann beklagen … Ich bleibe bei ihm, bis Poscharskij kommt.«
    Schluchzend verließ Nina den Basar, Waninow erhob sich von den Knien und setzte sich auf eine Tonne mit dem Waschmittel ›Blütenrein‹.
    Gegenüber, in Griffnähe, stand das Regal mit den Tabakwaren, und der Pope langte hin, zog eine Zigarre aus Georgien heraus, nahm ein Streichholz, biß die Zigarrenspitze ab, zündete die Zigarre an und blies den ersten Qualm genüßlich über den Toten hinweg.
    Babkin hatte das Bedürfnis zu niesen, aber das gelang ihm nicht. Hat man schon jemals einen Toten niesen gehört? Erstaunlich war nur, daß er den Juckreiz in der Nase spürte, aber sein Körper sich nicht mehr dagegen wehren konnte.
    Er dachte an den alten Komolow, der noch zwei Tage nach dem Tod seines Schwiegersohns die Leiche mit Fäusten und Fußtritten traktiert hatte, weil herausgekommen war, daß der Verblichene zwei bisher unbekannte außereheliche Kinder hinterließ, mit seiner Frau aber, Komolowas Tochter, kein einziges auf die Beine gebracht hatte. Wie schrecklich für den Schwiegersohn, nachträglich noch solche Schläge ertragen zu müssen, ohne sich wehren zu können!
    Babkin wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn Dr. Poscharskij stürmte, wie immer seine wie eine lange Leberwurst aussehende Arzttasche schwenkend, in den Basar. Einmal darauf angesprochen, erklärte er: »Das hat alles einen Sinn. So kann sich in den Injektions-Phiolen kein Bodensatz bilden!« Die Leute von Ulorjansk glaubten ihm das, weil es so gut klang. Injektions-Phiolen … Wir haben wirklich einen klugen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher