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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mutter-Gottes-Ikone neben seiner rechten Gesichtshälfte an das Kissen geklemmt war. Er fühlte sich ausgeschlafen und frisch, hatte Durst auf ein Glas Bier, aber es war sinnlos, seinen Wunsch kundzutun; er lag steif und stumm da und wartete, was alles noch auf ihn zukommen mochte.
    Wie in dem Film war es, den er einmal gesehen hatte, wo ein Scheintoter erleben mußte, daß man ihn beinahe lebendig begraben hätte.
    Babkin packte eine schreckliche Panik. Wie, wenn auch er nur scheintot war? Wenn er in Wahrheit lebte und sich nur nicht rühren konnte? Wie der Mann im Film!
    Es war doch unnatürlich für einen Toten, daß er alles sah, hörte und roch, obgleich ja noch keiner weiß, wie das Totsein wirklich ist. Aber normal war das nicht, was Babkin jetzt erlitt.
    Er zwang sich mit aller Kraft, einen Muskel zu bewegen, die Hand zu heben, das Bein anzuziehen – nichts, aber auch gar nichts regte sich an seinem Körper. Nicht einmal der Schweiß brach bei diesen Anstrengungen aus seinen Poren, und dabei war es sommerlich warm, und alle in Ulorjansk schwitzten.
    Ein wenig versöhnt mit seiner Verfassung war Babkin erst, als die Nachbarin Arune Jelisaweta an sein Bett trat, die Frau des Metzgers Isaak Narinskij, ein unverschämt, ja teuflisch schönes Weib, sich über ihn beugte und ihn zärtlich küßte. Dabei fielen ihre langen schwarzen Locken über seinen Kopf, und er konnte in dieser Lage im Ausschnitt ihres Sommerkleides die halbverhüllten, harten, runden Brüste sehen, nicht eingeschnürt durch einen dummen Halter.
    Bei jedem lebendigen Mann hätte ein solcher Einblick verräterische Regungen hervorgerufen, aber hier veränderte sich nichts. Babkin lag da wie ein Klotz.
    In dieser Minute war sich Babkin endlich sicher, daß er doch tot war. Endgültig. Aber er sah, hörte und roch alles. Wenn das die Hinterbliebenen wüßten …
    Laß das sein, du dummes Luder! dachte Babkin, als ihm Arune Narinskaja die Augen zudrückte. Jetzt kann ich doch kaum etwas sehen. Mir bleibt nur ein Schlitz unter den Wimpern. Mach mir die Augen wieder auf, mein Schneebrüstchen!
    Aber Arune ging weinend hinaus, fiel nebenan der Witwe Nina um den Hals und benahm sich, als sei sie selbst die Witwe.
    Verzweifelt bemühte sich unterdessen Babkin, die Lider wieder zu öffnen, aber sein Körper versagte ihm auch diesen Dienst. Ergeben in sein unabwendbares Schicksal ließ er noch einen stummen Fluch gegen Arune, das herrliche Weibchen, los und tröstete sich mit der Erwartung auf weitere interessante Begebenheiten.
    Ein langweiliger Tag wurde es. Niemand kümmerte sich mehr um Babkin. Nur einmal kam Nelli, seine älteste Tochter, die Frau des Lehrers Pyljow ins Zimmer, erneuerte die Kerzen und verschwand schnell wieder.
    So ist das nun, dachte Babkin voller Bitternis. Da liegt man und ist bereits abgeschrieben. Nebenan werden sie jetzt rechnen, was jeder erbt, und wie ich Nina, mein Weib, kenne, wird sie sogar die eigenen Kinder betrügen.
    Verschweigen wird sie, daß unter dem Polster des Sofas dreizehntausend Rubel liegen, ein ungeheures Vermögen, für das ich auf Jahre hinaus in ein Lager käme. Und was mit den gehorteten ›seltenen‹ Waren wie Strickpullover, Gummistiefeln, Kofferradios und Uhren geschieht, weiß jetzt nur noch Nina Romanowna. Das alles sieht man nun und kann nicht mehr eingreifen …
    Am Abend kamen noch einmal der Pope Waninow und Dr. Poscharskij an sein Bett, saßen auf zwei Stühlen zu Babkins Füßen und unterhielten sich über den Tod. Poscharskij hatte den ganzen Tag über dem Rätsel gebrütet, wieso ein bisher leidlich gesunder Mensch wie Babkin plötzlich umfiel und nicht mehr war. Der Arzt fand keine Antwort auf diese Frage, las in medizinischen Büchern nach und kam schließlich zu dem Ergebnis, daß Babkin einen Infarkt bekommen hatte. Einen Herzhinterwand-Infarkt, der solche Sekundentode auslösen kann.
    Der Pope Waninow segnete beim Hinausgehen noch einmal den seligen Babkin, dann entstand vor der Tür eine erregte Diskussion. Babkin hörte seine Nina schreien, und schließlich kam Mischin, der Sargmacher, herein, beleidigte ihn schamlos, nahm seine Maße und gestand triumphierend, wie er sowohl Babkin als auch die Witwe übers Ohr hauen wollte.
    Welch ein Glück für dich, daß ich stumm und steif bin! sagte Babkin im Inneren. O du Verbrecher Igor Grigorjewitsch! Keine Ehrfurcht vor den Toten! Komm du nur zu uns, wenn deine Zeit abgelaufen ist. Durch alle Wolken werde ich dich jagen! Kein Erzengel wird
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