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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mich daran hindern! Ein Schuft bist du, Mischin, ein Schuft …
    Dann wurde es wieder langweilig, bis tief in die Nacht hinein, wie sich Babkin ausrechnete. Er schlief ein wenig, wurde aber sofort wach, als jemand über sein Gesicht strich. Es war Väterchen Sidor, der Pope, und was jetzt folgte, in ununterbrochener Reihenfolge, hätte auch einen lebenden Babkin dazu gebracht, einen Herzschlag zu bekommen.

2
    Sidor Andrejewitsch Waninow war als Pope bei allen sehr beliebt. In ganz Ulorjansk lebte kein Mensch, den er seinen Feind nennen konnte, obgleich es eine Reihe Parteimitglieder gab, die jedes Jahr einmal pflichtgemäß gegen die Verdummung der Leute durch die Religion demonstrierten, in der Nacht darauf aber in der Kirche auftauchten und fromme Lieder sangen.
    Sogar der Stadtsowjet machte dabei mit, der Genosse Guri Jakowlewitsch Blistschenkow, der immer, wenn eine Delegation aus Tobolsk in der kleinen Stadt erschien, um die Gesinnung der Bürger zu kontrollieren, eine flammende Rede hielt und forderte, man solle aus der Kirche eine Nudelfabrik machen. Sie sei dringend notwendig.
    Später, wenn die Parteidelegation wieder abgezogen war, erschien Blistschenkow zerknirscht bei Väterchen Sidor, kniete vor dem von Babkin gestifteten Bronzekreuz nieder und ließ sich von Waninow seine Sünde verzeihen. Man war sich ja einig: Nur um des lieben Friedens willen forderte man eine Nudelfabrik, die natürlich nie gebaut wurde.
    Auch sonst war Väterchen Sidor eine unantastbare Person. Nicht, weil er Jesus Christus auf Erden vertrat, sondern weil er von fast jedem Bürger von Ulorjansk zuviel wußte. Was ihm im Laufe der Jahre gebeichtet worden war, reichte aus, um einen ganzen Saal der Hölle zu füllen, aber Väterchen Waninow beschützte seine irdische Herde, vergab ihnen streng, aber gütig die Übeltaten und lebte von den Spenden der befreiten Sünder wie ein Bojare zu alten Zeiten.
    Es war wirklich ein Glück, Sidor Andrejewitsch Waninow als Popen zu haben …
    Gespannt wartete nun Babkin darauf, was dieser gütige und fehlerlose Mensch ihm zu sagen hatte. Er sah ihn, unter dem Schlitz der Lider hindurch, auf dem Stuhl am Fußende des Bettes sitzen, die Hände fromm gefaltet, den langen weißen Bart sauber gekämmt, ja, es sah sogar so aus, als habe er ihn vorher gewaschen.
    »Mein lieber, armer Wadim Igorowitsch«, begann Waninow. Schon das war ungewöhnlich und veranlaßte Babkin, genau zuzuhören. »Nun bist du von uns gegangen, und ich kann sagen, daß ich erleichtert bin. Sehr erleichtert sogar. Eine innere Qual war's jedesmal, wenn ich dir gegenüberstand und du mich ansahst und unter meiner Anleitung dein Gebet gesprochen hast. Babkin, mein Lieber, nicht wert bin ich's, daß du vor mir das Kreuz schlugst. Wenn du mir an die Gurgel gegangen wärst, ich hätte mich nicht gewehrt. Ein Elender bin ich, zu schlecht, um dir unter die Augen zu treten. Verzeih mir, was ich dir angetan habe, auch ich bin nur ein schwacher Mensch und ein Mann dazu. Laß mich jetzt erzählen, wie alles gewesen ist – damals vor sechs Jahren. Oh, wie schäme ich mich …«
    Babkin spürte ein Kribbeln im Blut. Vor sechs Jahren, dachte er. Was war vor sechs Jahren Ungewöhnliches geschehen? Er kam zu keinem Ergebnis und wartete gespannt, was der Pope weiter sagen würde. Waninow putzte sich die Nase, beugte sich vor, tätschelte Babkin den Fuß und schnaufte ergriffen.
    »Erinnere dich, Babkin«, sagte er bedrückt. »Frühling war's, die Natur begann zu blühen, die Säfte stiegen hoch in die ältesten Bäume, vom Eichhörnchen bis zum Rentier – alles liebte sich. Kannst du verstehen, daß auch in mir das Frühjahr jubelte? Damals war ich vierundsechzig, kein Alter für einen Sibirier, o nein, da war noch Kraft in allen Gliedern …«
    Waninow seufzte herzzerreißend, und auch Babkin hatte den Drang, zu seufzen. Aber natürlich blieb er stumm für seine Umwelt und mußte reglos anhören, was der Pope ihm nun beichtete.
    »An einem Freitag«, fuhr Sidor Andrejewitsch fort, »ging ich mit meiner Angel zum Bach von Binowska, um mir, dem Herrn wohlgefällig, mein Abendessen zu angeln, einen schönen fetten Lachs, den ich mit einer Zitronensoße zubereiten wollte. Du weißt, wie gern ich Lachs mag, mein lieber, lieber Babkin …«
    Wer weiß das nicht, dachte Babkin, staunend über diesen Anfang der Rede. Als wenn du es riechen könntest … Immer, wenn es bei uns Lachs gab, gekocht im Wurzelsud oder im Ofen mit Kastanien, warst du
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