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Babkin, unser Väterchen

Babkin, unser Väterchen

Titel: Babkin, unser Väterchen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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selbst für schön erachtet …«
    »Ja, so war er«, sagte Nina, die Witwe, drückte ihr Taschentuch an die Nase und vergoß ein paar Tränen. »Da seht ihr, wie Wadim Igorowitsch war! Wenn er zärtlich war, nannte er mich ›Mein Döfchen‹ … Zweiunddreißig Jahre lang mußte ich das ertragen …«
    Sie sah den betroffenen Mischin an, der mit seinem Zollstock spielte. »Was kannst du schnitzen?«
    »Alles, Genossin Babkina.«
    »Dann schnitz die Köpfe von mir und seinen Kindern auf den Sarg …«
    »Ist das dein Ernst?« Mischin sah sich wieder hilfesuchend um. »Soviel Zeit haben wir nicht …«
    »Ich denke, du bist ein Künstler.«
    »Unter acht Tagen schaffe ich das nicht. Nina Romanowna, man kann Babkin nicht so lange im Bett liegen lassen. September ist es, noch warm … Babkin würde uns weglaufen …«
    »Laufen? Wie kann er laufen, du Idiot! Er ist doch tot!« schrie Nina, die Witwe.
    Mischin verdrehte die Augen und sah dann flehend den Popen Waninow an. »Helfen Sie mir jetzt, Väterchen«, stöhnte er. »Ich finde die diskreten Worte nicht.«
    Sidor Andrejewitsch erklärte der erstarrten Nina langsam und schonend, wie die Verwesung bei sommerlichen Temperaturen vor sich geht. Schon drei Tage im Bett seien im sibirischen September eine lange Zeit, eine Woche aber – unmöglich.
    »Man kann das allerdings aufhalten«, sagte Waninow am Schluß. »Man könnte Babkin in die Kühltruhe legen. Alles Fleisch, alles Eis, alle gefrorenen Lebensmittel raus und Babkin rein. Nur kann man später aus der Truhe nichts mehr verkaufen, der Hygiene wegen, Nina Romanowna …«
    »Dann schnitz, was du willst!« schrie Nina den armen Mischin an. »Mehr als dreihundert Rubel darf der Sarg nicht kosten! Dreihundert Rubel für eine Holzkiste! Von dreihundert Rubeln müssen Vater, Mutter und drei Kinder leben und werden noch fett dabei! Und er –«, ihre Finger deuteten zur Schlafzimmertür – »wirft das Geld raus für den Tod! Das empört mich! Das ist eine Ohrfeige für den Sozialismus!«
    Die Trauernden schwiegen betreten, weniger aus Höflichkeit als vielmehr vor Staunen, daß Nina Romanowna plötzlich sozial dachte. Man erinnerte sich noch gut an den armen Wanja Lwowitsch Gjunim, einen Kretin – dafür konnte er ja nichts – dem niemand Arbeit geben wollte und der sich mit Betteln durchs Leben schlug.
    Als er auch bei Babkin bettelte, belegte Nina ihn sofort mit Beschlag, ließ ihn Säcke und Kisten schleppen, unter deren Last er fast zusammenbrach, gab ihm Tritte in den Hintern, wenn er schwer atmend nach Luft rang und sich ein Sekündchen nur ausruhen wollte, und entlohnte ihn mit einem dünnen Kohlsüppchen, hart gewordenem Brot und zehn Kopeken pro Tag, die er bei Babkin wieder in Tabak umsetzte.
    Ich frage: War das sozial, Genossen? Durchaus nicht, und nun dachte Nina Romanowna an eine fünfköpfige Familie, wenn es darum ging, Babkin einen würdigen Sarg zu kaufen. Da darf man wahrlich erstaunt sein, meine Lieben.
    Der Schreiner Mischin gab sich einen Ruck, stieß die Tür zum Schlafzimmer auf, bekreuzigte sich auf der Schwelle, betrat den Raum und schloß die Tür wieder hinter sich.
    Babkin, das muß man gestehen, war eine imponierende Leiche. Er lag so im Bett, wie er umgefallen war, in einer blauen Hose, einem gestreiften Hemd und einem weißen Kittel darüber, so daß man denken konnte, er sei Arzt oder wenigstens Apotheker gewesen. Nur die Schuhe – italienische natürlich – hatte man ihm geputzt und ein Handtuch darunter geschoben.
    Sein rotbäckiges Gesicht verführte Mischin dazu, ihm freundlich zuzunicken und »Welch ein schöner Tag, Wadim Igorowitsch!« zu sagen. Erst danach fiel ihm ein, daß für einen Toten der Sterbetag durchaus kein schöner Tag war, aber man muß Mischin verzeihen: Babkin sah aus, als wenn er nur ein Nickerchen hielte.
    »Du erlaubst, daß ich dich ausmesse?« fragte Mischin etwas bedrückt. »Warum muß es eigentlich ein Maßsarg sein, Genosse, warum nicht ein fertiger? Diese Arbeit! Da habe ich neun schöne Särge auf Lager, sogar mit Metallkreuzen und einem geschnitzten Jesus auf dem Deckel, beste Ahornbretter, dreimal gebeizt. Die halten garantiert zwei Jahre, erst dann bricht der Deckel ein … Aber nein, ein Maßsarg muß es sein! Immer großkotzig, Genosse, genau wie im Leben. Der reiche Babkin! Vielleicht steht in deinem Testament auch noch, daß man dir in Ulorjansk ein Denkmal bauen soll, gleich neben Lenin. Zuzutrauen wäre es dir!«
    Mischin setzte sich auf
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