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AvaNinian – Zweites Buch

AvaNinian – Zweites Buch

Titel: AvaNinian – Zweites Buch
Autoren: Ina Norman
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zierlichen Schachfiguren aus rotem und weißem Bein auf dem Spielbrett vor dem Kamin waren ein Andenken an jenen ersten Besuch.
    Der Hausherr hatte das Fenster seines Schlafgemachs in törichtem Vertrauen auf die fünfzehn Fuß, die es über dem Erdboden lag, offen gelassen. Mit klopfendem Herzen hatte sie sich in dem dunklen Raum umgesehen und auf das tiefe Schnarchen des Schläfers gelauscht. Jermyn war sofort zum Ankleidetisch des Herrn geschlichen. Mit geübtem Griff hatte er Ringe und Schmucknadeln in den Beutel gefegt und die silbernen Knöpfe und Schnallen von Rock und Schuhen geschnitten. Ninians Blick war jedoch als erstes auf die halbfertig gespielte Schachpartie gefallen und sie hatte die Figuren eingesteckt. Jermyn hatte den Kopf geschüttelt, aber als sie ihm später die Züge beibrachte und sie sich an manchem düsteren Wintertag die Zeit mit dem Spiel vertrieben, musste er zugegeben, dass ihre Wahl nicht schlecht gewesen war.
    Er hatte schnell gelernt und spielte gut, aber er verlor nicht gern und wenn es schlecht für seinen König aussah, fühlte sie manchmal die schwarzen Augen durchdringend auf sich gerichtet, als wolle er ihre Gedanken lesen. Blickte sie dann auf, sah er verlegen weg. Sie glaubte ihm, dass er niemals ohne ihre Zustimmung in ihr inneres Wesen hineinsehen würde, aber es gab wohl Gelegenheiten, bei denen die Versuchung groß war.
    Dem ersten Einbruch, der so reibungslos verlaufen war, dass er sie fast enttäuscht hatte, waren andere gefolgt und bald beherrschte sie die Kunst, sich lautlos in fremden, dunklen Räumen zu bewegen, ebenso gut wie Jermyn.
    Häufig missbilligte er die Wahl ihrer Beutestücke und tippte sich an die Stirn, wenn sie etwa ein perlenbesticktes Kissen oder einen Fächer aus bemalter Seide einsteckte. Die Hehler zahlten nicht viel für solchen Tand. Aber Ninian ließ sich nie beirren, sie nahm mit, was ihr gefiel, und behielt es. Manchmal sah sie mehr als er. Auf dem Kaminsims stand eine kleine Mädchenfigur aus rötlichem Ton, die mit scheuer Gebärde ihr faltenreiches Gewand um sich raffte. Von Vitalonga hatte sie erfahren, dass die Sammler alter Kostbarkeiten für solch eine Figur aus der Alten Zeit schweres Gold zahlen würden. Ninian hatte nicht vor, das tönerne Mädchen herzugeben, aber sie hielt Jermyn triumphierend vor, dass nicht alles Wertvolle glitzern musste.
    Nicht jeder Besuch war glatt gegangen; einmal waren sie von einem späten Zecher überrascht worden. Er hatte die beiden grauen Gestalten blöde angestarrt und dann den Mund geöffnet, um nach Hilfe zu schreien. Jermyn hatte ihn in den Schlaf gezwungen, seine Erinnerung gelöscht und ihm in aller Ruhe die Taschen ausgeleert. Zuletzt hatten sie ihn angezogen aufs Bett gelegt und ihm seine Nachtmütze über den Kopf gestülpt.
    Ein andermal war der Widerstand heftiger gewesen. Der Mann, dem sie sich plötzlich gegenübergesehen hatten, konnte sich verschließen und obwohl ihm der Schweiß auf der Stirne stand, hatte er nach der Klingelschnur gegriffen, die neben der Tür hing. Ihr schrilles Läuten hatte durchdringend durch das Haus geschallt. Die rote Glut war in Jermyns Augen aufgesprungen, er hatte die Abwehr des Mannes niedergerissen und dieser war wie ein gefällter Ochse zu Boden gestürzt, aber da hatten sie schon aufgeregte Schritte und lautes Rufen auf dem Gang gehört. Jermyn hatte eilig die Tür abgeschlossen und den schweren Körper davorgezerrt. Während die Balken unter heftigen Schlägen erzitterten, waren sie aus dem Fenster geklettert und hatten sich so schnell es ging abgeseilt, die Seile gelöst, in rasender Eile aufgewickelt und waren weggerannt, als aus dem Fenster das Geräusch von splitterndem Holz ertönt war. Als sie ein paar Ecken weiter hastig ihre Kapuzen abgestreift hatten und in die ruhige, zielstrebige Gangart der Grauen Laienbrüder verfallen waren, hatte Jermyn grinsend einen schweren Siegelring hervorgeholt.
    Wenige Tage später war sie im Morgengrauen erwacht, weil er pfeifend hereingekommen war und einen schweren Beutel auf die Decken geworfen hatte. Er war zu ihr ins Bett geschlüpft, hatte ihren Ärger über seinen Alleingang besänftigt und dann erzählt, was er getan hatte.
    »Ohne den Ring kann er weder Briefe noch Verträge siegeln und kein Geschäft abschließen. Er ist nur ein halber Mensch, nicht viel mehr als ein Leibeigener. Das Siegel ist wahrscheinlich seit Generationen in seiner Familie. Was sind dagegen schon die hundert Goldstücke, für die er
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