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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften
Autoren: Richard Wagner
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Ärzten offenstehende, Erfahrung an, sowie etwa auf den richtigen Blick des besonders begabten ärztlichen Individuums, und schließlich auf dessen tief angelegenen Eifer, dem ihm vertrauenden Kranken nach aller Möglichkeit zu helfen. Mahomet, als er alle Wunder der Schöpfung durchlaufen, erkennt schließlich als das Wunderbarste, daß die Menschen Mitleid mit einander hätten; wir setzen dieses, solange wir uns ihm anvertrauen, bei unserem Arzte unbedingt voraus, und glauben ihm daher eher als dem spekulirenden, auf abstrakte Ergebnisse für seinen Ruhm hin operirenden Physiologen im Sezirsaale. Allein auch dieses Vertrauen soll uns benommen werden, wenn wir, wie neuerdings, erfahren, daß eine Versammlung praktischer Ärzte von der Furcht vor der »Wissenschaft« und der Angst für scheinheilig oder abergläubisch gehalten zu werden, sich bestimmen ließen, die von den Kranken bei ihnen vorausgesetzten einzig Vertrauen gebenden Eigenschaften zu verläugnen und sich zu unterwürfigen Dienern der spekulativen Thierquälerei zu machen, indem sie erklären, ohne die fortgesetzten Sezirübungen der Herren Studenten an lebenden Thieren würde der praktische Arzt nächstens seinen Kranken nicht mehr helfen können.
    Glücklicherweise sind die wenigen Belehrungen, welche wir über das Wahre und Richtige in dieser Angelegenheit bereits erhalten haben, so vollständig überzeugend, daß die Feigheit jener anderen Herren uns nicht mehr zur Begeisterung für die menschenfreundlich von ihnen befürwortete Thierquälerei hinreißen kann, sondern im Gegentheile wir uns bestimmt fühlen werden, einem Arzte, der seine Belehrung von dort her gewinnt, als einen überhaupt mitleidsunfähigen Menschen, ja als einen Pfuscher in seinem Metier, unsere Gesundheit und unser Leben nicht mehr anzuvertrauen.
    Da wir eben über die grauenhafte Stümperei jener, dem »großen Publikum«, namentlich auch unseren Ministern und Prinzen-Räthen zu ungemeiner Hochachtung und unverletzlicher Obhut empfohlenen »Wissenschaft« so lehrreich aufgeklärt worden sind, wie dieß kürzlich durch die, zugleich in edelstem deutschen Style abgefaßten und schon hierdurch sich auszeichnenden, Schriften mehrerer praktischer Ärzte geschehen ist, so dürfen wir uns wohl zu der hoffnungsvollen Annahme berechtigt halten, daß uns das Gespenst der »Nützlichkeit« der Vivisektion in unseren ferneren Bemühungen nicht mehr beängstigen werde; wogegen es uns fortan einzig noch daran gelegen sein sollte, der Religion des Mitleidens , den Bekennern des Nützlichkeits-Dogmas zum Trotz, einen kräftigen Boden zu neuer Pflege bei uns gewinnen zu lassen. Leider mußten wir auf dem soeben beschrittenen Wege der Betrachtung menschlicher Dinge so weit gelangen, das Mitleiden aus der Gesetzgebung unserer Gesellschaft verwiesen zu sehen, da wir selbst unsere ärztlichen Institute, unter dem Vorgeben der Sorge für den Menschen, zu Lehranstalten der Mitleidslosigkeit, wie sie von den Thieren ab – um der »Wissenschaft« willen – ganz natürlich auch gegen den vor ihrem Experimentiren etwa unbeschützten Menschen sich wenden wird, umgeschaffen fanden.
    Sollte uns dagegen vielleicht gerade unsere Empörung gegen die willkürlich ihnen zugefügten, entsetzlichen Leiden der Thiere, indem wir von diesem unwiderstehlichen Gefühle vertrauensvoll uns leiten lassen, den Weg zeigen, auf dem wir in das einzig erlösende Reich des Mitleids gegen alles Lebende überhaupt, wie in ein verlorenes und nun mit Bewußtsein wieder gewonnenes Paradies, eintreten würden? –
    Als es menschlicher Weisheit dereinst aufging, daß in dem Thiere das Gleiche athme was im Menschen, dünkte es bereits zu spät, den Fluch von uns abzuwenden, den wir, den reißenden Thieren selbst uns gleichstellend, durch den Genuß animalischer Nahrung auf uns geladen zu haben schienen: Krankheit und Elend aller Art, denen wir von bloß vegetabilischer Frucht sich nährende Menschen nicht ausgesetzt sahen. Auch die hierdurch gewonnene Einsicht führte zu dem Innewerden einer tiefen Verschuldung unseres weltlichen Daseins: sie bestimmte die ganz von ihr Durchdrungenen zur Abwendung von allem die Leidenschaften Aufreizenden durch freiwillige Armuth und vollständige Enthaltung von animalischer Nahrung, Diesen Weisen enthüllte sich das Geheimniß der Welt als eine ruhelose Bewegung der Zerrissenheit, welche nur durch das Mitleid zur ruhenden Einheit geheilt werden könne. Das einzig ihn bestimmende Mitleid mit jedem
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