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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften
Autoren: Richard Wagner
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athmenden Wesen erlöste den Weisen von dem rastlosen Wechsel aller leidenden Existenzen, die er selbst bis zu seiner letzten Befreiung leidend zu durchleben hatte. So ward der Mitleidslose um seines Leidens willen von ihm beklagt, am Innigsten aber das Thier, das er nur leiden sah, ohne es der Erlösung durch Mitleid fähig zu wissen. Dieser Weise mußte erkennen, daß seine höchste Beglückung das vernunftbegabte Wesen durch freiwilliges Leiden gewinnt, welches er daher mit erhabenem Eifer aufsucht und brünstig erfasst, wogegen das Thier nur mit schrecklichster Angst und furchtbarem Widerstreben dem ihm so nutzlosen, absoluten Leiden entgegensieht. Noch bedauernswerter aber dünkte jenen Weisen der Mensch, der mit Bewußtsein ein Thier quälen und für seine Leiden teilnahmslos sein konnte, denn er wusste, daß dieser noch unendlich ferner von der Erlösung sei als selbst das Thier, welches im Vergleich zu ihm schuldlos wie ein Heiliger erscheinen durfte.
    Rauheren Klimaten zu getriebene Völker, da sie für ihre Lebenserhaltung sich auf animalische Nahrung angewiesen sahen, haben bis in späte Zeiten das Bewußtsein davon bewahrt, daß das Thier nicht ihnen, sondern einer Gottheit angehöre; sie wußten mit der Erlegung oder Schlachtung eines Thieres sich eines Frevels schuldig, für welchen sie den Gott um Sühnung anzugehen hatten: sie opferten das Thier, und dankten ihm durch Darbringung der edelsten Theile der Beute. Was hier religiöse Empfindung war, lebte, nach dem Verderbniß der Religionen, noch in späteren Philosophen als menschenwürdige Überlegung fort; man lese Plutarch's schöne Abhandlung »über die Vernunft der Land- und Seethiere«, um sich, zartsinnig belehrt, zu den Ansichten unserer Gelehrten usw. voll Beschämung zurückzuwenden.
     
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    Bis hierher, leider aber nicht weiter, können wir die Spuren eines religiös begründeten Mitleidens unserer menschlichen Vorfahren gegen die Thiere verfolgen, und es scheint, daß die fortschreitende Zivilisation den Menschen, indem sie ihn gegen »den Gott« gleichgiltig machte, selbst zum reißenden Raubthiere umschuf; wie wir denn einen römischen Cäsaren wirklich in das Fell eines solchen gehüllt öffentlich mit den Aktionen eines reißenden Thieres sich produziren gesehen haben. Die ungeheure Schuld alles dieses Daseins nahm ein sündenloses göttliches Wesen selbst aus sich und sühnte sie mit seinem eigenen qualvollen Tode. Durch diesen Sühnungstod durfte sich Alles was athmet und lebt erlöst wissen, sobald er als Beispiel und Vorbild zur Nachahmung begriffen wurde. Es geschah dieß von allen den Märtyrern und Heiligen, die es unwiderstehlich zu freiwilligem Leiden hinriß, um im Quelle des Mitleidens bis zur Vernichtung jedes Weltenwahnes zu schwelgen. Legenden berichten uns, wie diesen Heiligen vertrauensvoll sich Thiere zugesellten, – vielleicht nicht nur um des Schutzes willen, dessen sie hier versichert waren, sondern auch durch einen tiefen Antrieb des als möglich entkeimenden Mitleids gedrängt: hier waren Wunden, endlich wohl auch die freundlich schützende Hand zu lecken. In diesen Sagen, wie von der Rehkuh der Genofeva und so vielen ähnlichen, liegt wohl ein Sinn, der über das alte Testament hinausreicht. –
    Diese Sagen sind nun verschollen; das alte Testament hat heut' zu Tage gesiegt, und aus dem reißenden ist das »rechnende« Raubthier geworden. Unser Glaube heißt: das Thier ist nützlich, namentlich wenn es, unserm Schutze vertrauend, sich uns ergiebt; machen wir daher mit ihm, was uns für den menschlichen Nutzen gut dünkt; wir haben ein Recht dazu, tausend treue Hunde tagelang zu martern, wenn wir hierdurch einem Menschen zu dem »kannibalischen« Wohlsein von »fünfhundert Säuen« verhelfen.
    Das Entsetzen über die Ergebnisse dieser Maxime durfte allerdings erst seinen wahren Ausdruck erhalten, als wir von dem Unwesen der wissenschaftlichen Thierfolter genauer unterrichtet wurden, und nun endlich zu der Frage gedrängt sind, wie denn überhaupt, da wir in unseren kirchlichen Dogmen keinen wesentlichen Anhalt hierfür finden, unser Verhältniß zu den Thieren als ein sittliches und das Gewissen beruhigendes zu bestimmen sei. Die Weisheit der Brahmanen, ja aller gebildeten Heidenvölker, ist uns verloren gegangen: mit der Verkennung unseres Verhältnisses zu den Thieren sehen wir eine, im schlimmsten Sinne selbst verthierte, ja mehr als verthierte, eine verteufelte Welt vor uns. Es giebt nicht eine
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