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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften
Autoren: Richard Wagner
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Thierquälerei, wie sie in unseren staatlich autorisirten Vivisektions-Sälen ausgeübt wird, kein giltiges Argument hervorzubringen wissen, sobald die Nützlichkeit derselben zu ihrer Vertheidigung zur Geltung gebracht wird. Fast sind wir darauf beschränkt, nur diese Nützlichkeit in Frage zu stellen, und würde diese bis zur absoluten Zweifellosigkeit erwiesen, so wäre es gerade der Thierschutz-Verein, welcher durch seine bisher befolgte Tendenz der menschenunwürdigsten Grausamkeit gegen seine Schützlinge Vorschub geleistet hätte. Hiernach könnte zur Aufrechterhaltung unserer thierfreundlichen Absichten nur ein staatlich anerkannter Nachweis der Unnützlichkeit jener wissenschaftlichen Thierfolter verhelfen: wir wollen hoffen, daß es hierzu kommt. Selbst aber, wenn unsere Bemühungen nach dieser Seite hin den vollständigsten Erfolg haben, ist, sobald einzig auf Grund der Unnützlichkeit derselben die Thierfolter durchaus abgeschafft wird, nichts Dauerndes und Achtes für die Menschheit gewonnen, und der Gedanke, der unsere Vereinigungen zum Schutz der Thiere hervorrief, bleibt entstellt und aus Feigheit unausgesprochen.
    Wer zur Abwendung willkürlich verlängerter Leiden von einem Thiere eines anderen Antriebes bedarf, als den des reinen Mitleidens, der kann sich nie wahrhaft berechtigt gefühlt haben, der Thierquälerei von Seiten eines Nebenmenschen Einhalt zu thun. Jeder, der bei dem Anblicke der Qual eines Thieres sich empörte, wird hierzu einzig vom Mitleiden angetrieben, und wer sich zum Schutze der Thiere mit Anderen verbindet, wird hierzu nur vom Mitleiden bestimmt, und zwar von einem seiner Natur nach gegen alle Berechnungen der Nützlichkeit oder Unnützlichkeit durchaus gleichgiltigen und rücksichtslosen Mitleiden. Daß mir aber dieses einzig uns bestimmende Motiv des unabweisbaren Mitleidens nicht an die Spitze aller unserer Aufforderungen und Belehrungen für das Volk zu stellen uns getrauen, darin liegt der Fluch unserer Zivilisation, die Dokumentirung der Entgöttlichung unserer staatskirchlichen Religionen.
    In unseren Zeiten bedurfte es der Belehrung durch einen, alles Unächte und Vorgebliche mit schroffester Schonungslosigkeit bekämpfenden Philosophen, um das in der tiefsten Natur des menschlichen Willens begründete Mitleid als die einzige wahre Grundlage aller Sittlichkeit nachzuweisen. Hierüber wurde gespottet, von dem Senate einer wissenschaftlichen Akademie sogar mit Entrüstung remonstrirt; denn die Tugend, wo sie nicht durch Offenbarung anbefohlen war, durfte nur als aus Vernunfts-Erwägung hervorgehend, begründet werden. Vernunftgemäß betrachtet wurde dagegen das Mitleid sogar als ein potenzirter Egoismus erklärt: daß der Anblick eines fremden Leidens uns selber Schmerz verursache, sollte das Motiv der Aktion des Mitleids sein, nicht aber das fremde Leiden selbst, welches mir eben nur aus dem Grunde zu entfernen suchten, weil damit einzig die schmerzliche Wirkung auf uns selbst aufzuheben war. Wie sinnreich wir geworden waren, um uns im Schlamme der gemeinsten Selbstsucht gegen die Störung durch gemeinmenschliche Empfindungen zu behaupten! Andererseits wurde aber das Mitleid auch deßhalb verachtet, weil es am allerhäufigsten, selbst bei den gemeinsten Menschen als ein sehr niedriger Grad von Lebensäußerung angetroffen werde: hierbei befliß man sich, das Mitleid mit dem Bedauern zu verwechseln, welches in allen Fällen des bürgerlichen und häuslichen Mißgeschickes bei den Umstehenden so leicht zum Ausspruch kommt und, bei der ungemessenen Häufigkeit solcher Fälle, seinen Ausdruck im Kopfschütteln der achselzuckend endlich sich Abwendenden findet, – bis etwa aus der Menge der Eine hervortritt, der vom wirklichen Mitleide zur thätigen Hilfe angetrieben wird. Wem es nicht anders eingepflanzt war, als im Mitleid es nur bis zu jenem feigen Bedauern zu bringen, mag sich billig mit einiger Befriedigung hiervon zu wahren suchen, und eine reich ausgebildete für den Wohlgeschmack hergerichtete Menschenverachtung wird ihm dabei behilflich sein. In der That wird es schwer fallen, einen Solchen für die Erlernung und Ausübung des Mitleids gerade auf seine Nebenmenschen zu verweisen; wie es denn überhaupt im Betracht unserer gesetzlich geregelten staatsbürgerlichen Gesellschaft mit der Erfüllung des Gebotes unseres Erlösers »liebe deinen Nächsten als dich selbst« eine recht peinliche Bewandtniß hat. Unsere Nächsten sind gewöhnlich nicht sehr liebenswerth, und
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