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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften
Autoren: Richard Wagner
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Wotan thronend in Walhall, auf den Gott-Vater der altchristlichen Maler, oder auch auf einen hohen menschlichen Helden, selbst auf einen großen Natureindruck beziehen, z. B. auf eine von Bergeshöhe aus erlebte Sternennacht. Eine notwendige Verknüpfung zwischen Vorstellung und Ausdruck besteht hier nicht. Vielmehr ist die Musik, wie Wagner von ihr sagt, »ein unendlich verschwimmendes Wesen«, dem »der moralische Wille fehlt«; Umschränkung, Bestimmung kann sie nur von auswärts empfangen, von etwas, was nicht Musik ist; und da dies nun eine gewisse Gewaltsamkeit und Willkür erfordert, wird es schwerlich jemals vollkommen gelingen, außer durch die Zauberwirkung eines unmittelbaren, zugleich sinnlichen und moralischen Eindruckes, wie ihn das Genie durch tief sich einprägende Bilder und durch sehr einfache, ergreifende Handlungen hervorzurufen weiß, wo dann unser sich sträubender Verstand so unwiderstehlich hingerissen und überwältigt wird, daß nunmehr die Vermählung der beiden Welten vor sich geht: die bestimmte Gestalt als Element, das Element als eine bestimmte Gestalt uns erscheint. Es ist dies der Triumph jenes »schönen Scheines«, über den Goethe und Schiller so viel verhandelten, und besitzt nur in dem einen Augenblick Wahrheit, wo der Funke von Welt zu Welt hinüberblitzt; ihn zu schlagen vermag aber (ähnlich wie bei den elektrischen Erscheinungen der Natur) einzig ein langsam angesammelter, überlegener Kraftvorrat, der selten und gewaltig zum Ausdruck gelangt – wie dies Wagner von jungen Jahren an als »Festspiel« vorschwebte. Auch die Offenbarungen dieser geheimnisvollen Vermählung beider Welten, die wir dem erhabenen Genie eines Bach, eines Mozart, eines Beethoven verdanken, finden nur in feierlichen Momenten tiefster Ergriffenheit statt; wo diese fehlt, ist die Freude an Musik lediglich ein Gefallen an Form ohne Inhalt. Und so erweist sich denn in der Tat das Schreiben über Werke der Musik – außer Technischem für Techniker – als bar aller geistigen Bedeutung.
    Somit wäre nicht viel einzuwenden gegen diejenigen, die nicht gern Schriften über Werke der Musik lesen. Ihnen ist aber entgegenzuhalten, daß Arbeiten dieser Art nur einen verschwindend kleinen Bruchteil von Wagner's schriftlichem Lebenswerk ausmachen. Wohl hat er notgedrungen – als die Theater ihm verschlossen waren – einige »Programme« zu Aufführungen bloßer symphonischer Sätze aus seinen Dramen im Konzertsaal verfaßt; auch zwang ihn die Verbannung aus Deutschland, schriftliche Anweisungen für die Aufführung seiner eigenen Werke zu geben, die noch heute unsere Direktoren vor gröbsten Verstößen bewahren könnten, wenn sich je diese Herren dazu herbeiließen, des Meisters eigene Anordnungen kennen zu lernen; des weiteren wäre das berühmte Programm zur Neunten Symphonie Beethoven's zu nennen, entstanden, als es galt, dieses unsterbliche Werk in Deutschland gegen den Stumpfsinn der Musikschwärmer und die tyrannisch wirkende Ablehnung Mendelssohns durchzusetzen; schließlich hat er einzelne kleinere Abhandlungen verfaßt, die dem Sänger oder dem Dirigenten als Anleitung zu seinem Künstlerberuf dienen sollen. Sonst aber gelten seine prosaischen Schriften teils allgemeinen Kunstfragen – und schließen sich somit jener Reihe an, welche unter den Namen Winckelmann, Lessing, Herder, Schiller, Goethe, Kant, Schelling, Schopenhauer, gezeigt haben, daß es den Deutschen allein unter den zeitgenössischen Völkern gegeben ist, die Würde der Kunst zu ahnen und die Übertragung dieser Ahnung in die Wirklichkeit zu erstreben; teils gelten sie den wichtigsten Kulturfragen unserer Zeit, wodurch Wagner wiederum an die Tradition der großen deutschen Dichter und Denker anknüpft; einige Schriften streifen bis an die Grenze der Tagespolitik heran; schließlich sind noch die Beiträge zur eigenen Lebensgeschichte, sowie etliche Novellen und dramatische Entwürfe zu erwähnen. Alles geeignet, jedem denkenden Menschen eine Quelle unerschöpflicher Anregung und Belehrung zu werden – selbst denjenigen, die, aus Mangel an Gelegenheit oder an Beanlagung, für musikalische und dramatische Werke wenig Empfänglichkeit besitzen. Ich begreife es – namentlich bei der beklagenswerten Beschaffenheit fast aller Aufführungen –, wenn nicht jeder Mann von Kenntnissen und Geschmack aus den Bühnenwerken des Bayreuther Meisters Begeisterung schöpft; ich begreife es nicht, daß irgendeiner an seinen Schriften vorbeigeht, ohne sie
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