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Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften
Autoren: Richard Wagner
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an seinen treuen Uhlig); diese Klarheit benötigen wir aber alle, heute nicht weniger als vor fünfzig Jahren, wollen wir erfahren, wie es um Wagners Kunstabsichten wirklich bestellt ist. Denn niemals kommen wir in die Lage, seine Kunst so zu erleben, wie er sie innerlich gedacht und gelebt hat; selbst Bayreuth kann uns (abgesehen von allen künstlerischen Unüberwindlichkeiten der Gegenwart) nur einen Abglanz bieten, etwa wie die Sachsen und Brabanter Lohengrin vom fernen Gral erzählen hören, ihn aber doch nicht erblicken; und zwar darum, weil für Wagner das Ideal der Kunst von dem Ideal des Lebens nicht getrennt werden kann; durch keine Macht; der bloße Gedanke hieran wäre die Verleugnung seines Lebenswerkes. Woraus sich aber nun des weiteren ergibt, daß wer Wagners Schriften nicht kennt, nie und nimmer seine Werke richtig zu empfinden und zu erleben vermag.
    Hier ist aber die Gelegenheit gegeben, einen noch tieferen Blick in das Wesen des Zusammenhanges zwischen den Kunstwerken und den Schriften dieses Meisters zu werfen. Ein Vergleich soll unserem Auge den Weg dazu weisen.
    Wird erst eine hinreichende Zeit perspektivisch verjüngend gewirkt haben – stellen wir uns eine Spanne von zweihundert Jahren vor – die Musiker und die Dichter des neunzehnten Jahrhunderts, verloren unter Hunderten von Nachfolgern, werden dann dem Auge des Lebenden bis zur Unsichtbarkeit zusammengeschrumpft sein; um so deutlicher werden aber – neben der einsam abseits stehenden Sphinxgestalt Beethovens – zwei Gewaltige in die Höhe ragen: Goethe und Wagner. Einen stärkeren Kontrast kann es kaum zwischen Poeten geben; hier jedoch fasse ich nur einen Punkt ins Auge und lasse alles übrige unbeachtet. Goethes Dichtungen gelten bekanntlich allgemein als »Konfessionen«; verschiedene Aussprüche von ihm sind dahin verstanden worden; voraussichtlich werden die Literarhistoriker nach wie vor das hierdurch veranlaßte Gesellschaftsspiel der Identifikation an seinen Werken treiben; die nicht philologisch Interessierten werden aber jedenfalls immer mehr einzig nach der Person Goethes selbst in diesen vorgeblichen »Konfessionen« fragen, weil diese zunehmend alles Interesse beanspruchen muß; und da wird sich denn nach und nach herausstellen, daß Goethe nirgendwo zu finden ist. Einen Merck und eine Lili und einen Einsiedel usw. kann der Philologe verhältnismäßig leicht vortäuschen, weil sie nur oberflächlich bekannt sind; bei einem Herder wird es schon bedenklich, und bei einem Goethe stimmt zuletzt gar nichts. Goethe, ein unter Schädeln und Pergamenten, in staubigen Gewölben eingeschlossener Faust! Goethe, ein von Reue in den Wahnsinn gejagter Orest! Goethe, ein kranker, schmachtender Tasso! Goethe, ein unschlüssiger, hin und her wankender, den Bestimmungen anderer folgender Wilhelm Meister! Alles und jedes doch gar zu absurd. Und so wird allmählich die Besinnung eintreten, daß selten ein Richter so wenig wie gerade Goethe sich selbst dichterisch dargestellt oder gar verherrlicht hat. Natürlich kann auch er – wie jeder – nur aus dem Stoff aufbauen, den er eingesammelt hat; »Poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen Lebens«, schreibt er einmal; doch er formt diesen Gehalt des Lebens um, und seine höchste Dichterwonne – was er selber genießt und was er anderen als Genuß bereiten will – ist das reine Erblicken des Phantasiebildes, das Gemälde, entworfen, nachdem die Leidenschaft wie ein Gewitter erquickend sich ergangen hat und nur mehr verklärt am Horizonte hängt als Folie zu dem durchsichtigen Vorderund Mittelgrunde. Ganz anders bei Wagner. Was ihn vor allen Dramatikern der alten und neuen Zeit auszeichnet, ist die unerhörte Kraft und Bestimmtheit des Ausdruckes; dieser Ausdruck entspringt persönlichstem Erlebnis. Von der zartesten, noch unbewußten Regung im Innern bis zu dem Rasen und dem Wahnsinn der entfesselten Leidenschaft: jeder Ton steht ihm zur Verfügung, und mit diesem Ton erfaßt er auch unser Herz und zwingt uns so zu fühlen, wie er fühlt. Der Eine ist hier alles. Goethes Gegenwart kann man selbst in Dichtung und Wahrheit bisweilen vergessen, so vollkommen geht er in die umgebende Welt auf; Wagners Gegenwart kann man nie vergessen. Und worauf ich im Augenblicke hinziele, ist folgende Erkenntnis: in einem anderen Sinne als Goethes Werke bringen diejenigen Wagners wirkliche »Konfessionen«. Zunächst bleibt diese Tatsache durch die Wahl der Gegenstände verhüllt; unter Göttern,
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