Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auswahl seiner Schriften

Auswahl seiner Schriften

Titel: Auswahl seiner Schriften
Autoren: Richard Wagner
Vom Netzwerk:
Wahrheit, die wir, selbst wenn wir sie zu erkennen fähig sind, aus Selbstsucht und Eigennutz uns zu verdecken nicht bereit sind: denn hierin eben besteht unsere Zivilisation. Doch scheint es dießmal, daß das zu stark gefüllte Maaß überlaufe, worin denn ein guter Erfolg des aktiven Pessimismus, im Sinne des »Gutes schaffenden« Mephistopheles sich zeigen möchte. Abseits, aber fast gleichzeitig mit dem Aufblühen jener, im vorgeblichen Dienste einer unmöglichen Wissenschaft vollzogenen Thierquälereien, legte uns ein redlich forschender, sorgfältig züchtender und wahrhaftig vergleichender wissenschaftlicher Thierfreund, die Lehren verschollener Urweisheit wieder offen, nach welchen in den Thieren das Gleiche athmet, was uns das Leben giebt, ja daß wir unzweifelhaft von ihnen selbst abstammen. Diese Erkenntniß dürfte uns, im Geiste unseres glaubenslosen Jahrhunderts, am sichersten dazu anleiten, unser Verhältniß zu den Thieren in einem unfehlbar richtigen Sinne zu würdigen, da wir vielleicht nur auf diesem Wege wieder zu einer wahrhaften Religion, zu der, vom Erlöser uns gelehrten und durch sein Beispiel bekräftigten, der Menschenliebe gelangen möchten. Wir berührten bereits, was die Befolgung dieser Lehre uns Sklaven der Zivilisation so übermäßig erschwere. Da wir die Thiere bereits dazu verwendeten, nicht nur uns zu ernähren und uns zu dienen, sondern an ihren künstlich herbeigeführten Leiden auch zu erkennen, was uns selbst etwa fehle, wenn unser, durch unnatürliches Leben, Ausschweifungen und Laster aller Art zerrütteter Leib mit Krankheiten behaftet wird, so dürften wir sie jetzt dagegen in förderlicher Weise zum Zwecke der Veredelung unserer Sittlichkeit, ja, in vieler Beziehung, als untrügliches Zeugniß für die Wahrhaftigkeit der Natur zu unserer Selbsterziehung benützen.
    Einen Wegweiser hierfür giebt uns schon unser Freund Plutarch. Dieser hatte die Kühnheit, ein Gespräch des Odysseus mit seinem, von Kirke in Thiere verwandelten Genossen zu erfinden, in welchem die Zurückverwandlung in Menschen von diesen mit Gründen von äußerster Triftigkeit abgelehnt wird. Wer diesem wunderlichen Dialoge genau gefolgt ist, wird sich schwer damit zurechtfinden, wenn er heut' zu Tage die durch unsere Zivilisation in Unthiere verwandelte Menschheit zu einer Rückkehr zu wahrer menschlicher Würde ermahnen will. Ein wirklicher Erfolg dürfte wohl nur davon zu erwarten sein, daß der Mensch zu allernächst an dem Thiere sich seiner selbst in einem adeligen Sinne bewußt werde. An dem Leiden und Sterben des Thieres gewannen wir immer einen Maaßstab für die höhere Würde des Menschen, welcher das Leiden als seine erfolgreichste Belehrung, den Tod als eine verklärende Sühne zu erfahren fähig ist, während das Thier durchaus zwecklos für sich leidet und stirbt. Wir verachten den Menschen, der das ihm verhängte Leiden nicht standhaft ertragt und vor dem Tode in wahnsinniger Furcht erbebt: gerade für diesen aber viviseciren unsere Physiologen Thiere, impfen ihnen Gifte ein, welcher jener durch Laster sich bereitet, und unterhalten künstlich ihre Qualen, um zu erfahren, wie lange sie etwa auch jenem Elenden die letzte Noth fernhalten könnten! Wer wollte in jenem Siechthume, wie in dieser Abhilfe, ein sittliches Moment erblicken? Würde dagegen mit Anwendung solcher wissenschaftlicher Kunstmittel etwa dem durch Hunger, Entbehrung und Übernehmung seiner Kräfte leidenden armen Arbeiter geholfen werden? Man erfährt, daß gerade an diesem, welcher – glücklicher Weise! – nicht am Leben hängt und willig aus ihm scheidet, oft die interessantesten Versuche zu objektiver Kenntnißnahme physiologischer Probleme angestellt werden, so daß der Arme noch im Sterben dem Reichen sich verdienstlich macht, wie bereits im Leben z. B. durch das sogenannte »Auswohnen« gesundheitsschädlicher neuer glänzender Wohnräume. Doch geschieht dieß von Seiten des Armen in stumpfsinnigem Unbewußtsein. Dagegen könnte man annehmen, daß das Thier selbst vollbewußt willig für seinen Herrn sich quälen und martern ließe, wenn es seinem Intellekte deutlich gemacht werden könnte, daß es sich hierbei um das Wohl seines menschlichen Freundes handele. Daß hiermit nicht zu viel gesagt sei, dürfte sich aus der Wahrnehmung ergeben können, daß Hunde, Pferde, sowie fast alle Haus- und gezähmten Thiere, nur dadurch abgerichtet werden, daß ihrem Verstande es deutlich gemacht wird, welche Leistungen wir von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher