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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser
Autoren: Kate Grenville
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aufzusetzen und zu trinken.
    Im Zimmer wurde es immer heißer. Rooke spürte, wie ihm ein Schweißtropfen über die Wange lief. Dort drüben war der elende Vorhang, den er nicht mehr sehen konnte, dort unten die gesprungene Fliese, dort oben die Schimmelflecken. Rooke hatte das Gefühl, unmöglich noch einen weiteren Tag in diesem Zimmer ertragen zu können, während das Licht durch das Zimmer kroch, bis es endlich dunkel wurde.
    Mit einem einzigen Atemstoß stieß er die gesamte Luft aus seiner Lunge aus, ein Geräusch, das ihm halb wie ein Stöhnen, halb wie Heulen erschien. Henrietta beugte sich vor, blieb lange an seinem Bett sitzen, hielt seine Finger und streichelte sie. Rooke spürte die warme, glatte Haut ihrer Finger auf seinen.
    Putuwa . Das war das Wort, das Tagaran ihm beigebracht hatte. Putuwa. Und er hatte die Bedeutung in sein Büchlein geschrieben: die Hand am Feuer wärmen und dann die Finger eines anderen Menschen sanft drücken .
    Dort, am anderen Ende der Welt, würde es jetzt Abend werden. Wenn Tagaran noch lebte, war sie inzwischen eine erwachsene Frau mit erwachsenen Kindern. Vielleicht hatte sie Enkelkinder, die genauso dünn waren und genau das gleiche Lachen hatten wie das Kind, das sie gewesen war, als sie sich mit Daniel Rooke angefreundet hatte.
    Sie erinnerte sich bestimmt noch an ihn. Dessen war er sich ganz sicher. Sie würde ihren Kindern von ihm erzählen, dem Berewalgal , mit dem sie als Mädchen befreundet war. Der solche Schwierigkeiten beim Aussprechen ihres Namens hatte, dass sie ihn zehn Mal wiederholen musste! Der alles in zwei kleine Notizbücher geschrieben hatte, damit die Wörter dort für immer festgehalten wären.
    Ob sie sich fragte, was aus den Notizbüchern geworden war, den Aufzeichnungen ihrer Gespräche, niedergeschrieben für jeden, der sie irgendwann öffnen und lesen würde? Sie wusste bestimmt, dass er die Bücher bis an sein Lebensende aufbewahren würde, dachte Rooke.
    Die Notizbücher waren mit ihm auf der Gorgon nach London gereist, und dann nach Afrika. Und nach all diesen Jahren waren sie immer noch bei ihm, in der obersten Schublade der Frisierkommode drüben in der Ecke. Er hatte sie jedoch kein einziges Mal herausgeholt, hatte sie nie wieder gelesen. Es genügte ihm zu wissen, dass sie da waren. Wenn Tagaran und er tot waren und ihre Enkelkinder auch, würden diese Notizbücher die Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft erzählen.
    Rooke hatte immer gehofft, irgendwann dorthin zurückkehren zu können. Er hatte diese Hoffnung nie aufgegeben. Hier auf diesen Inseln unter all den schwarzen Gesichtern hatte er das Gefühl gehabt, Tagaran näher zu sein. Hatte das Gefühl gehabt, sich in ihre Richtung zu bewegen, trennte ihn von New South Wales doch nur ein schmaler Streifen Land und ein einziger Ozean. Inzwischen wusste er, mit der Klarheit des Fiebers, dass er dieses Land nie wiedersehen würde. New South Wales war genauso unerreichbar wie alles andere aus seiner Vergangenheit.
    Rooke brauchte die Notizbücher gar nicht aufzuschlagen, um sich an jede Einzelheit von New South Wales erinnern zu können. Er wusste genau, wie es dort in der Abenddämmerung aussah. Das Land dunkelte eher als der Himmel. Das Wasser fing die letzten Sonnenstrahlen ein und hielt sie fest, schimmernd und funkelnd.
    Wäre er noch einmal in derselben Situation wie in jener Nacht am Sandstrand der Botany Bay, würde er wieder dieselbe Entscheidung treffen, wohl wissend, dass ihn das genau hierhin führen würde: zu den kreischenden Vögeln dort draußen im Guajavabaum, den Stimmen, die durchs Fenster hereindrangen in dieses heiße Zimmer mit den darin herumkreisenden Fliegen und dem im Bett liegenden Mann, der zu den Schimmelflecken an der Decke hochsah, die aussahen wie dunkle Sterne.
    ✳
    An seinem letzten Morgen in New South Wales war Rooke schon vor Tagesanbruch erwacht. Durch die offene Tür waren noch ein paar Sterne zu sehen, während der Himmel um sie herum langsam heller wurde.
    Unten im Hafen von Sydney Cove hatte die Gorgon gewartet, um ihn nach England zurückzubringen. Die seit langem erwarteten Schiffe waren zu seinem persönlichen Pech kurz nach seiner Unterredung mit dem Gouverneur eingetroffen. Sie wissen, Leutnant, dass ich nicht bevollmächtigt bin, eine Militärgerichtsverhandlung abzuhalten , hatte Seine Exzellenz gesagt. Seine Stimme hatte vor Wut gezittert. Sie werden aber bei der erstbesten Gelegenheit zurückgeschickt und sich für Ihr Verhalten zu
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