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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser
Autoren: Kate Grenville
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Süßkartoffeln vom Vorabend heraufkommen. Obwohl er auf nichts davon Appetit hatte, würde sie es ihm bringen und ihn wie immer leise schelten. Sie würde ihm die Mango hinhalten, bis er einen Bissen nahm, und ihm das Kinn abwischen, wenn der Saft hinunterrann.
    Ein Schälchen Haferbrei, das wäre gut. Als Kind hatte er Haferbrei sehr gemocht. Das regenglänzende Portsmouth und der Haferbrei seiner Mutter, warm, süß, mit fetter Sahne. In Antigua gab es kein Hafermehl. Auf den Schiffen, die alle möglichen Genüsse aus England herbrachten, konnte man vermutlich auch Hafermehl kaufen, nahm Rooke an, allerdings nur, wenn man Geld hatte.
    Er hatte Henrietta bei einer Versteigerung gekauft, als er noch Geld hatte. Damals war es ihm schon zur Gewohnheit geworden, mit den anderen Männern dazustehen und laut aufwärts zu zählen, im Wechsel mit ihnen Gebote abzugeben, bis die anderen schließlich aufgaben. Wie viele Sklaven hatte er gekauft? Anfangs hatte er noch eine Liste geführt, nach einer Weile jedoch damit aufgehört. Ausnahmsweise einmal war es ihm auf die genaue Zahl nicht mehr angekommen. Er konnte lediglich sagen: Ich habe so viele gekauft, wie ich kaufen konnte .
    Gekauft und dann natürlich freigelassen. Wie hatten sie ihn dafür gehasst, diese Männer ringsum auf dem Auktionshof. Sie hatten sich untereinander abgesprochen und den Preis durch Abgabe immer höherer Gebote in die Höhe getrieben, um ihn schneller zu ruinieren.
    Jetzt hatte er nichts mehr. Nur noch das Wasser im Brunnen, die Mangos an den Bäumen und die Süßkartoffeln im Garten.
    »Geh«, hatte er zu Henrietta gesagt, als das letzte Geld weg war, und sich dabei bemüht, streng zu klingen. »Ich kann dich nicht bezahlen, du musst dir eine andere Stelle suchen.« Henrietta hatte sich gar nicht erst auf eine Diskussion eingelassen, sondern nur den Kopf geschüttelt und die Lippen zusammengepresst wie ein Kind, dass sich weigert, eine Medizin zu nehmen.
    Vielleicht sollte er diese vor sechsundvierzig Jahren getroffene Wahl jetzt bereuen, dachte Rooke. Er versuchte es sich im Geiste vorzustellen. Bedauern. Reue . Überlegte, ob er das, was diese Worte besagten, tatsächlich empfand. Sein Kopf schmerzte, sämtliche Glieder taten ihm weh, das Licht blendete seine Augen. Er wünschte, seine Frau wäre noch am Leben. Gerne würde er seine Schwester Anne noch einmal sehen, noch einmal Haferbrei essen und den weichen Regen von Portsmouth auf seinem Gesicht spüren.
    All diese Dinge konnte er fühlen. Nur Bedauern fühlte er einfach nicht. Man konnte zwar die Worte dafür aufrufen, nicht aber das Gefühl.
    Bedauern, aus dem Augenwinkel heraus sah er das Wort aufblitzen, aufflammen, erlöschen.
    Rooke hörte, wie Henrietta unten im Erdgeschoss jemanden begrüßte, dann eine dunkle Männerstimme. Er hatte das Bild deutlich vor Augen: Henrietta, ein frisch gewaschenes Tuch, das einmal rot gewesen war, um ihr schwarzes Haar gebunden, und Redoubt, der Postbote.
    Durch das offene Fenster hörte er, wie jemand fegte, dann die regelmäßigen dumpfen Schläge eines Teppichklopfers. Jemand sang ein paar Takte einer Melodie, rief etwas, dann das Geräusch von Wasser, das aus einem Behälter in einen anderen gegossen wurde. Ein Hahn krähte triumphierend. Bald würde Henrietta heraufkommen, den kaputten Vorhang zurückziehen, sich umdrehen und Rooke anblicken.
    Und tatsächlich, da waren ihre Schritte auf der Treppe. Weil der Mattenbelag seit langem hinüber war, konnte Rooke jeden einzelnen Schritt ihrer nackten Füße hören, mochte sie auch noch so leise auftreten. Und da stand sie auch schon, in der Hand den alten weißen Teller mit, ja, der Scheibe Mango und einem Stück gräulicher Süßkartoffel.
    Nur um sie zum Lächeln zu bringen, würde er einen Happen essen. Sonst würde sie ihren gekränkten Blick aufsetzen, den er nicht ertragen konnte. Er wusste, dass es nur vorgetäuscht war, so wie man vielleicht einem Kind etwas vorspielte, trotzdem würde er sich fügen. Er würde zuerst die Süßkartoffel essen, mit diesem leicht erdigen Geschmack, dann die Mango mit ihrem süßen, duftenden Fruchtfleisch.
    »Nicht so hastig, Mr. Rooke«, flüsterte Henrietta. »Immer schön langsam.«
    Als er von beidem einen Bissen gegessen hatte, ließ er sich wieder aufs Kissen sinken. Die Mango schmeckte auf der Zunge zwar süß, hinterließ aber einen leicht bitteren Nachgeschmack. Er wollte ihn mit einem Schluck Wasser wegspülen, brachte aber nicht die Energie auf, sich
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