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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser
Autoren: Kate Grenville
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das Rascheln der rauen, vom Wind bewegten Eukalyptusblätter. In unmittelbarer Nähe machte ein Vogel ein Geräusch, das wie das Quietschen einer Tür klang.
    »Sir, Ihre Anordnungen waren überaus schändlich, und ich bedaure in höchstem Maße, an diesem Unternehmen teilgenommen zu haben.«
    »Ist denn nun jemand getötet worden, Leutnant?«, fragte der Gouverneur erneut, als hätte er nichts gehört. »Wie viele sind erwischt worden?«
    Seine Verbissenheit brachte Rooke zur Weißglut.
    »Entschuldigen Sie, Sir, aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass eine böse Absicht dahintersteckte, und das ist das Einzige, worauf Gott sieht, wenn er in unsere Herzen schaut.«
    Rooke sah, wie der Gouverneur bei dem Wort Gott zusammenzuckte, und war selbst überrascht, es verwendet zu haben. Es klang wie ein billiger Trick, um den Gouverneur zum Schweigen zu bringen. In Wirklichkeit glaubte er, dass Gott für den Menschen schlicht und einfach ein Mittel war, um sein eigenes Herz zu befragen.
    »Zum Donnerwetter, Sir!«, entfuhr es dem Gouverneur, »Sie sind für einen rangniederen Offizier mächtig selbstsicher und im Umgang mit dem Namen des Allmächtigen mächtig ungezwungen!«
    Die ungeschickte Ausdrucksweise, mächtig – Allmächtiger, ließ alle drei Männer stutzen und dem Zusammenklang der Wörter lauschen.
    »Ich darf Sie bitten, mich zur Mittagsstunde im Gouverneurssitz aufzusuchen, Leutnant Rooke.«
    Und weg war er. Während Wyatt mit langen Schritten hinterherlief, um den Gouverneur einzuholen, warf er einen Blick zu Rooke zurück, der mit seinen Gedanken schon in der Zukunft war.
    Er würde jetzt zu seiner Hütte an der Landspitze gehen. Dort würde er Feuer machen, Wasser erhitzen, Tee aufbrühen und sich mit seinem Stuhl draußen an die von der Morgensonne erwärmte Holzwand setzen.
    Je nachdem, wie lange es dauern würde, bis die Schiffe aus England eintrafen, könnte er einige Wochen oder Monate dort sitzen. Er würde weiterhin die Niederschläge und die Lufttemperatur messen. Vielleicht würde er sogar noch ein paar neue Sterne entdecken und einige neue Wörter in seine Notizbücher eintragen.
    Doch früher oder später würde Seiner Majestät große Maschinerie nach ihm greifen. Er würde fortgeschickt werden. Er würde vor Gericht gestellt werden und zuhören, wie über ihn das Urteil gesprochen wurde. Dann würde er aus dem Saal geführt werden und sich dem einen oder anderen Tod ergeben müssen: dem Tod seines Körpers oder dem Tod seiner Zukunft.
    Als Rooke schließlich die Siedlung erreichte, wölbte sich über ihm ein klarer blauer Morgenhimmel, und die Sterne waren nicht mehr zu sehen. Sie waren aber keineswegs fort, sondern hingen nach wie vor an ihren angestammten Plätzen. Die Erde würde sich ewig weiterdrehen, Sonnenuntergang würde auf Sonnenaufgang folgen bis in alle Ewigkeit, und die Sterne würden nicht aufhören zu leuchten, ob man sie nun sah oder nicht.

FÜNFTER TEIL
ANTIGUA 1836


    F ast fünfzig Jahre später drehte sich die Erde und brannten die Sterne noch immer, und Daniel Rooke sah noch immer zu ihnen hinauf und beobachtete sie.
    Inzwischen hatte er gelernt, dass man mit bloßen Augen Dinge sah, die ein Teleskop nicht sichtbar machen konnte. Mit Hilfe dieser empfindlichen astronomischen Instrumente konnte man die Summe des Weltwissens zwar durch neue Sterne erweitern, doch um die Schönheit der schon entdeckten Sterne zu bestaunen, bedurfte es einer Seele.
    Rooke war nicht zum Tode verurteilt worden, und dafür hatte er Gott auf den Knien gedankt. Doch als es hieß, er dürfe weiterhin im Dienst bleiben, wenn er sich bei James Gilbert entschuldige und eine Degradierung zum Fähnrich akzeptiere, hatte er abgelehnt. Er wusste inzwischen, wozu er am Leben geblieben war, und zwar nicht, um Seiner Majestät zu dienen. Unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung verschrieb er sich einer anderen Sache.
    Einer Sache, die Rooke an einen Ort zurückführte, von dem er nie geglaubt hätte, ihn jemals wiederzusehen: Antigua. Die Symmetrie verblüffte ihn. In Antigua hatte er einst mit angesehen, wie ein junger Marineleutnant wegen Ungehorsams gehängt wurde. Rooke hatte ebenfalls den Gehorsam verweigert, ohne jedoch zum Tode verurteilt worden zu sein. Da schien es nur folgerichtig, Antigua sein Leben zu verschreiben.
    Wie ein Stern im Morgengrauen verblasste dieses Leben nun allmählich. Rooke lag wach in der Dunkelheit. Bis zum Sonnenaufgang würde es noch eine Weile dauern, doch das
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