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Australien 02 - Der Sternenleser

Australien 02 - Der Sternenleser

Titel: Australien 02 - Der Sternenleser
Autoren: Kate Grenville
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Genau wie sie hatte er sich von seinem Eigeninteresse leiten lassen.
    Rooke hörte sich stöhnen, ein schweres, undeutliches Oh .
    Es war die einfachste Sache der Welt. Wenn ein Unternehmen falsch war, machte es keinen Unterschied, ob es gelang oder nicht oder wie viele kluge Schritte man unternahm, um dafür zu sorgen, dass es misslang. War man an einer solchen Unternehmung beteiligt, dann war man ebenfalls an dem beteiligt, was daran falsch war. Auch wenn man das Beil gar nicht in die Hand nahm oder einfach nur mitmarschierte.
    War man Teil dieser Maschinerie, dann war man auch Teil dessen, was daran böse war.
    Direkt geradeaus lag der Einschnitt im Land, hinter dem sich der Ozean erstreckte, über den die Berewalgal zwei Jahre zuvor hierher gekommen waren. Rooke hatte von Bord der Sirius auf das immer näher kommende Land geblickt und nichts anderes gesehen als Chancen. Am Strand von Sydney Cove waren auf gleicher Höhe wie das Beiboot diese Eingeborenen entlanggelaufen und hatten ihre unmissverständliche Botschaft ausgerufen. Sie waren nichts weiter gewesen als nackte Fremde. Rooke hatte im Bug des Bootes gesessen, die Muskete schussbereit in den Händen, bereit, auf Befehl abzudrücken.
    Dieser Daniel Rooke schien Silbe für Silbe durch einen anderen Mann ersetzt worden zu sein. Inzwischen kannte er diese nackten Menschen. Er verstand sie zwar nicht, betrachtete sie aber nicht mehr als Fremde.
    Einige Meilen weiter nördlich, hinter den Wäldern, durch die am vergangenen Tag eine lange Reihe von Männern marschiert war, lag Tagaran jetzt schlafend an einem Lagerfeuer. Dort gab es keine Kerze, die sie nicht einschlafen ließ, keine Decke, die auf ihrer Haut kratzte. Nur die Nacht, die sie einhüllte wie auch ihn. Nur der Mond, der auf sie herabblickte wie auf ihn.
    Es gab kein Wort für das, was er von Tagaran gelernt hatte. Er wusste nicht, wie er das, was er für sie empfand, benennen sollte. Doch sie hatte ihm gezeigt, was für ein Mensch in ihm steckte.
    Dieser Mensch war nicht nur ein Leutnant in Seiner Majestät Diensten. Dieser Mann konnte gleichermaßen gut stillsitzen wie handeln, zuhören wie sprechen, fühlen wie denken. Er hatte Wahrheiten entdeckt, die zwar namenlos, aber dennoch stark waren, Wahrheiten über zwei Menschen und was sie miteinander teilen konnten.
    Dieser Mann hatte nichts mit Unternehmungen zu tun, zu denen aufgerollte Seile und Musketen gehörten, und erst recht nicht mit geschärften Beilen und Säcken von der richtigen Größe, um Menschenköpfe hineinzustecken.
    Weiter an der Expedition beteiligt zu sein, würde bedeuten, dem Mann, der er geworden war, den Rücken zu kehren. Aus dem Unternehmen auszusteigen, käme hingegen einem Schritt ins Leere gleich.
    Rooke konnte noch immer das gleißende Sonnenlicht im Englischen Hafen von Antigua spüren, konnte noch immer die beiden Leutnants mit den geschorenen Köpfen und den zerfetzten Jacken vor sich sehen. Konnte noch immer den Geruch der Scheiße des Gehenkten riechen und das Gefühl des würgenden Strickes um den Hals nachempfinden.
    Manches saß einfach zu tief, um es vergessen zu können.
    Rooke beobachtete das heran und hinaus rollende Wasser. Jedes Mal, wenn eine Welle sich überschlug und im Sand zerrann, lief ein Lichtschimmer über den fransigen Saum.
    Das alles ging ohne Denken, ohne Logik, ohne Berechnung vonstatten. Es war einfach nur ein physischer Impuls wie Atemzüge oder ein Zwinkern: ein Reflex, an dem der Verstand nicht beteiligt war.
    »Ich kann da nicht mitmachen«, sagte Rooke laut.
    Nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, blieb ein dumpfes Gefühl zurück. Er erkannte, dass es Angst war. Er wusste weder, wie schwierig der Weg sein würde, auf den ihn dieser neue Daniel Rooke führen, noch wo dieser Weg enden würde. Er wusste nur, dass er bereit war, den Fremden willkommen zu heißen und ihm zu folgen.
    ✳
    Als er wieder beim Lager ankam, rollten sich die Männer gerade in ihre Decken ein und legten zum Schutz gegen die Moskitos ein Taschentuch auf ihr Gesicht. Das Feuer wurde mit feuchtem Holz bedeckt, das die ganze Nacht über qualmen würde.
    Rooke ging zu seinem Tornister hinüber und schnallte seine Decke los. Die Schnallen kamen ihm riesig und unhandlich vor, doch dann merkte er, dass es an seinen Fingern lag. Er selbst war ruhig, nur seine Finger gehorchten ihm nicht.
    Nachdem er die Schnallen endlich aufbekommen hatte, rollte er die Decke aus und wickelte sich darin ein. Er war froh über das
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