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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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Betrieb und vierköpfiger
     Familie, schlenderte, kurz nach 24 Uhr, vom U-Bahnhof Kurfürstenstraße
     kommend, die Parade der leichtbekleideten Bordsteinschwalben ab, bog in
     die Frobenstraße ein und sah, gegenüber der Bushaltestelle, ein
     etwa zwanzigjähriges Mädchen, das ihm spontan gefiel. Sie war
     schlank und blond, halbwegs hübsch, mit gut ausbalancierter Oberweite
     und schuluniformähnlichem Faltenröckchen. Nentwig erkundigte
     sich nach dem Preis für Französisch ohne Gummi, fand die
     verlangte Summe, dreißig Euro, akzeptabel und folgte dem Mädchen
     auf den Kinderspielplatz, wo die Nutten dieses Striches nachts ihre Freier
     bedienen, wenn es schnell gehen soll und man die Miete für ein
     Stundenhotel einsparen will.
    In jedem erotischen Stadtführer
     wird vor den Junkienutten der Frobenstraße gewarnt, viele von ihnen
     seien krank, seien Ansteckungsherde für alle Arten lästiger bis
     tödlicher Krankheiten. Miroslav Nentwig ging das Risiko bewußt
     ein, immerhin bekam er es preiswert Französisch ohne (›total‹)
     gemacht, und das Leben, fand er, sei zu kurz, um auf dergleichen zu
     verzichten. Mit seiner Gattin verkehrte er schon lange nicht mehr sexuell,
     die Kinder waren so gut wie erwachsen, das Ganze ging nur ihn etwas an und
     niemanden sonst. Freier und Nutte suchten sich eine besonders dunkle,
     verschwiegene Ecke des Spielplatzes, er lehnte sich gegen den Zaun aus
     Stahldraht, streifte seine Hose und Unterhose herab, und Petra, das war
     der Name, den sie ihm nannte, ging in die Hocke, rieb an seinem kaum
     halbsteifen Glied, wusch es mit etwas Spucke, schob es in ihren Mund.
    Danach schrie sie. Wollte
     weglaufen, lief nach mehreren vergeblichen Versuchen auch weg, drehte
     sich, auf der Straße angekommen, um, brach auf dem Gehsteig zusammen
     und bat herbeieilende Kolleginnen – was sie sich zuvor nie hätte
     träumen lassen –, die Bullen zu rufen.
    Am nächsten Morgen wurde
     der Fall an Nabel und sein Team übergeben. Nabel, völlig übernächtigt,
     schämte sich seiner Tränensäcke. Er trug vorm Spiegel der
     Toilette straffende Tagescreme auf, las dann im Büro das Protokoll
     durch, das im Laufe der Nacht entstanden war. Beziehungsweise bat er Lidia
     darum, daß sie es vorlas. Ihre Stimme war so klar und silbern. Eine
     Art akustisches Scheuermittel für seine halb tauben, vom Restalkohol
     verdreckten Gehörgänge.
    »Zeugin: Ich hab es ihm
     auf orale Weise besorgt. Ich war gerade dabei, damit anzufangen.
    Der Miroslav Nentwig, dessen
     Namen ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, zeigte erste Reaktion
     durch allmähliches Versteifen des Gliedes, Zurückbiegen des
     Kopfes und leise Stöhnlaute …«
    Nabel, Ahmed sowie alle
     anderen Mitglieder der MK acht blökten und jauchzten und baten Lidia
     im Chor, die Passage gleich noch einmal vorzutragen.
    »Warum«, fragte
     Nabel laut, »können die nicht einfach das, was Zeugen aussagen,
     im Wortlaut aufschreiben. Das wäre manchmal vielleicht wichtig. Im
     Wortlaut. Nuancen, versteht ihr?« Nabel schüttelte verärgert
     den Kopf und bat Lidia, weiter vorzulesen.
    »Zeugin: Plötzlich
     ertönt ein pfeifendes Geräusch, dann kippt Nentwig auf mich
     drauf. Sein Gesicht blutet, ich spüre es in der Dunkelheit, es rinnt
     warm aus seinen Augen auf meine Finger. Ich rüttele den Kerl, der
     regt sich nicht, ich schreie, haue ab, bleibe auf der Straße stehen,
     rufe nach Hilfe. Mehr weiß ich nicht.«
    Nabel überflog das
     Protokoll. »Hat sies ihm mit Gummi gemacht oder ohne?«
    »Steht da nicht. Spielt
     das eine Rolle? Ob sies ihm mit Gummi gemacht hat oder nicht?«
    »Na klar! Alles spielt
     eine Rolle. Und sowas besonders.«
    »Warum?« Lidia
     tat naiv. Manchmal schien sie kokettieren zu wollen. Nabel tat ihr den
     Gefallen, wendete sich an den Rest der Mordkommission, fast ausnahmslos Männer,
     und fragte: »Ist das wichtig, ob mit Gummi oder nicht?«
    Ein vielstimmiges aber hallo
     ertönte, ein gemurmeltes weißgott sowie zwei verdruckste schon
     irgendwie.
    Tatwaffe: Pistole, vermutlich
     mit Schalldämpfer, Kaliber 9 Millimeter, Entfernung des Schützen:
     keine drei Meter. Treffer direkt in den Hinterkopf, Austrittswunde im
     rechten Auge. Sofortiger Exitus. Weitere Spuren: im Stahlzaun ein
     selbstklebendes Schildchen, darauf, von Hand mit lila Tinte geschrieben:
    Zu unsauber für Gott.
     Aussortiert. Hallelujah.
    »Mist«, sagte
     Nabel laut. »Wollt ihr wetten? Ich behaupte, ich weiß, wer
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