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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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nichts.«
    »Aber – eine
     Frau, die jemanden erdrosselt …«
    »Das ist kein so großer
     Kraftakt, wie gemeinhin geglaubt wird. Man muß oft nichtmal eine
     halbe Minute am Limit bleiben, bis die Ohnmacht eintritt. Der Überraschungsfaktor
     ist da entscheidend.«
    »Es muß ein Mann
     sein«, beschloß Nabel.
    »Warum?«
    »Ganz simpel: Eine Frau
     im Pornokino würde enormes Aufsehen erregen.«
    »Und wenn sie sich«,
     warf Ahmed ein, »verkleidet?«
    »Glaub ich nicht. Sowas
     gibts aufm Theater, nicht im Ernst.«
    »Ehrlich gesagt«,
     seufzte Lidia, »komm ich mit dem Profil nicht recht vorwärts.
     Die Botschaften sind zu kurz, zu lapidar, um sozusagen ein, mir steht
     grade kein dooferes Wort zur Verfügung: Herzensbekenntnis zu sein.
     Die Morde folgen zu schnell aufeinander, als hätte es der Täter
     eilig, sich in kürzester Zeit zu profilieren, ernst genommen zu
     werden. Mit einem möglichst großen Spektrum an Tötungsarten.
     Das deutet tatsächlich auf Allmachtsphantasien hin, auf eine massive
     Profilneurose, extreme Frustration und einen gewissen künstlerischen
     Willen, sich nicht wiederholen zu wollen. Dann wieder denke ich mir: Wozu
     überhaupt das Handschriftliche? Um ein Signet am Tatort zu
     hinterlassen, hätte es doch andere Möglichkeiten gegeben,
     poetischere, was weiß ich, eine gewisse Blume oder irgendwas. Wozu
     die Handschrift? Wenn es nicht die des Täters sein sollte, wäre
     das merkwürdig, denn er würde sich quasi der Hilfe eines anderen
     bedienen, sowas würde ein selbsternannter Gott nicht nötig haben
     beziehungsweise als störendes Fremddekor empfinden …«
    Nabel entdeckte im Gesicht
     von Lidia Rauch ungewohnte Züge des Zweifels, der Unzufriedenheit und
     auch ein wenig, wie sollte ers nennen? Bockigkeit. Sie schien sich in
     diesen Fall nicht mit der üblichen Inbrunst zu stürzen, weil er
     sich ihrem logischen Verständnis verweigerte. Nabel bohrte nicht
     nach. Schweigen im Raum. Lidia sah müde und angeekelt aus, schneuzte
     sich, suchte die Toilette auf, kam nach einer Viertelstunde wie verwandelt
     zurück und zeigte endlich wieder ihren gewohnten Trotz, verbunden mit
     jenem neugierig-entschlossenen Blick, der die einst Jahrgangsbeste der
     Polizeischule gewöhnlich auszeichnete. Nabel betrachtete sie
     heimlich, sie schniefte leicht, rieb sich die Nase.
    »Gehts deinem Schnupfen
     immer noch nicht besser?«
    »Dochdoch. Ist nur lästig.«
    »Gut, nehmen wir an: Es
     ist ein Geisteskranker – ohne logisch vorhersehbares
     Handlungsmuster. Vielleicht hat das Ganze ja doch mit den sieben Todsünden
     zu tun. Wie in diesem Brad-Pitt-Film. Aber ich denke, Lidia hat recht,
     wenn sie sagt, daß der Täter darauf stärker hinweisen würde.
     Nehmen wir mal wörtlich, was er schreibt.«
    Lidia griff den Gedanken auf.
     »Er glaubt entweder, daß er selbst bald zu einer Art Gott
     wird, oder daß es zu einer Art Jüngstem Gericht kommt, dem er
     vorauseilend willfährig vorgreifen möchte.«
    »Vorauseilend willfährig
     vorgreifen«, wiederholte Ahmed. »Klingt scharf, wenn du das
     sagst. Sorry, war nicht so gemeint. Ich halt schon meinen Mund.«
    In den Printmedien
     anderntags, selbst in den überregionalen Blättern, wurden die
     Morde weidlich ausgeschlachtet. Die Schweinezeitung, so hieß sie in
     Nabels Bürojargon, titelte mit lila Versalien: Irrer Serienkiller wütet
     in Berlin. Täter hinterläßt Visitenkarten, in denen er
     weitere Morde ankündigt. Sind wir alle in Gefahr? Wer besonders
     bedroht ist: Seite 7.
    Das Kälberjournal und
     das Hühnerblatt äußerten sich ähnlich, und selbst die
     seriös-bürgerlichen Gazetten ließen sich die Gelegenheit
     zur Panikmache nicht entgehen.
    Nur die traditionell
     linksorientierte Tageszeitung (nicht wichtig genug, kein Kosename) übte
     sich in Zurückhaltung und beließ es bei einer kleinen Spalte im
     Lokalteil.
    Nabel war sauer. Woher wußte
     die Presse von der Farbe Lila? Die war in den Bulletins mit keinem Wort
     erwähnt worden. Seidel beschloß, daß der Journaille
     fortan nur das Allernötigste mitgeteilt werden sollte. Seine
     Beziehungen zu den Zeitungsverlegern waren recht gut, er erreichte mit
     vielen Gesprächen auf Chefebene, daß sich die Berichterstattung
     etwas abschwächte. Nur die Schweinezeitung ließ sich in keiner
     Weise beschwichtigen. Sie forderte neue Fakten, wo es keine gab, erfand
     sie sich welche. Merkwürdigerweise gelang es der Schweinezeitung,
     viel mehr Zeugen
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