Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen
Autoren: Moritz Matthies
Vom Netzwerk:
zu uns Tieren sind und so, aber sobald man es mit Flamingos und Pinguinen zu tun bekommt, denkt man unwillkürlich, dass die echt froh sein können, im Zoo gehalten zu werden.
     
    Der Rest unserer Befragung erbringt einen Haufen vollgekritzelter Haftnotizen, aber wenig Konkretes. Die Fenneks behaupten, alles haarklein beobachtet zu haben, wollen aber für ihre Informationen bezahlt werden. Ich glaub ihnen kein Wort. Die gesamte Sippe ist seit Jahren klebstoffabhängig. Für eine Tube Pattex würden die mir erzählen, dass letzte Nacht ein Ufo in ihrem Gehege gelandet ist und Hanno von Sieversdorf in eine ferne Galaxie entführt wurde. Als wir es bei den Affen versuchen, scheitere ich bereits am ersten Türsteher. Das ärgert mich zwar, auf der anderen Seite sind die Affen ein mafiöser Haufen und halten grundsätzlich jede Information unter Verschluss. Von denen hätte ich also ohnehin nichts erfahren. Die Giraffen hatten wie immer ihre Köpfe in den Zweigen und wissen von nichts, und von den Gnus will mal wieder jeder etwas anderes gehört und gesehen haben.
    Ich begleite Rufus bis zum Einstieg unseres Geheimgangs. Als er bereits halb in der Erde steckt, sage ich ihm, dass ich noch eine kleine Runde drehe und gleich nachkomme. Ich wolle noch ein bisschen über den Fall nachdenken, den Kopf freibekommen.
    »Freibekommen von was«, fragt Rufus, »von Elsa?«
    Tja, so ist das: Nur weil jemand nervt, heißt das eben noch nicht, dass er blöd ist.
     
    Als ich auf dem Weg stehe und zu Elsas Käfig emporblicke, der zurückgesetzt auf einer Anhöhe thront, meine ich, ihr seidiges Fell im Widerschein der fernen Bahnhofsbeleuchtung wie flüssiges Silber schimmern zu sehen. Mein Herz schlägt so laut, dass ich mich frage, wie die anderen Tiere bei dem Krach schlafen können. Ich weiß, wenn ich noch länger hier stehe, verlässt mich der Mut, also schwinge ich mich über den Zaun und klettere den Abhang zu ihrem Käfig hinauf.
    Im Schlaf hat sie sich auf die Seite gedreht, ihre hellere Bauchseite dem Gitter zugewandt, den buschigen Schwanz wie eine Boa um ihre Hinterbeine geschmiegt, die zarten Füßchen schutzlos auf dem kalten Beton. Unmöglich zu sagen, wie lange ich sie so betrachte, meine Krallen um die Gitterstäbe gelegt. Es ist verrückt, denke ich. In der Natur trennen uns Tausende von Kilometern, inklusive des Atlantischen Ozeans, und ausgerechnet hier im Zoo kommen wir zusammen: Elsa und Ray. Schwer, da noch an Zufall zu glauben.
    »Na, Kleiner – darfst du denn so spät noch raus?«
    Der Schock gefriert mir die Glieder. Sie schläft gar nicht! Ich Idiot! Natürlich schläft sie nicht. Erde an Ray: Chinchillas sind nachtaktiv! Bestimmt hat sie schon die ganze Zeit mitbekommen … Ach was, ganz sicher sogar! Vor Scham würde ich mich am liebsten im Boden eingraben. Stattdessen setzt meine Atmung wieder ein, und ich gewinne langsam meine Fassung zurück. Es ist erstaunlich. Ihre Stimme erzeugt ein einziges Kribbeln in meinem Unterleib – selbst wenn sie mich beleidigt. Am Ende, fürchte ich, funktionieren Erdmännchen nach demselben Prinzip wie alle anderen Männchen auch.
    »Hi, Elsa«, zwänge ich die Worte durch meine Kehle. »Wie läuft’s denn so?«
    In Super-slow-Motion dreht sie sich auf die Beine und mir ihren Kopf zu: »Was willst du, Ray?«
    Ich probiere es mit Standbein/Spielbein, weil das lässiger aussieht, knicke kurz weg, kann mich aber im letzten Moment locker am Käfig abstützen. »Ich bin da an so einer Sache dran …« Vor lauter Übermut kreuze ich mein Spielbein über das Standbein. »Es geht um einen Menschen: Hanno von Sieversdorf. Dir muss ich ja sicher nicht sagen, wer das ist. Jedenfalls ist er verschwunden, hier im Zoo. Komische Sache. Könnte in Zusammenhang stehen mit den Schüssen, die gestern …«
    Mit Entsetzen verfolge ich, wie Elsa gelangweilt im Dunkel ihres Käfigs verschwindet.
    Kurz darauf treffen mich aus diesem Dunkel drei Worte wie Kugeln, mitten in mein blutendes Herz: »Gute Nacht, Ray.«

Kapitel 3
    Rufus gibt sich alle Mühe, seine Nervosität als Übererfüllung seiner Wachmann-Pflichten zu tarnen. Keine drei Sekunden hält er es in einer Position aus. Vor dem Gehege sind zwei Jungs einer Schulklasse stehen geblieben, von denen einer meine Schwester Angie aus dem dritten Wurf gerne, wie er sagt, an seinen Dobermann verfüttern würde. Er hat eine dämliche rote Mütze auf, der andere eine noch dämlichere gelbe. So etwas würde ich mir nicht mal im Zirkus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher