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Ausgefressen

Ausgefressen

Titel: Ausgefressen
Autoren: Moritz Matthies
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Gewissheit verschafft. »Der kommt nicht mehr.« Mit einer schwungvollen Drehung steuert er den Bau an. »Roxi!«
    Unsere Schwester schreckt auf: »Was denn?«
    Rocky wirft ihr einen Blick zu, von dem er hofft, dass er Granit schneiden könnte.
    »Oh«, ruft Roxane entschuldigend, »komme!« Einen Moment später sind die beiden im Bau verschwunden.
    Nach und nach verkrümeln sich auch die anderen. Bevor Pa davonschlurft, wirft er mir einen Blick zu, der besagt: Am Ende ist das hier auch nur eine Enttäuschung mehr.
    »Du darfst es ihm nicht übelnehmen«, sagt Ma, als sie ihm folgt. »Auf seine Weise liebt er dich trotzdem.«
    »Aber sicher«, antworte ich und stelle fest, dass ich mir schon wieder die Eier kraule.
     
    Bis es Abend wird, sitzen Rufus und ich zu zweit auf dem Hügel. Das heißt: Rufus zappelt immer noch herum, kratzt sich, putzt sich, reckt sich, dreht sich im Kreis – während ich sitze und mich der Abendstimmung hingebe. Keiner aus dem Clan glaubt mehr daran, dass Phil noch auftaucht und das vereinbarte Lebendessen mitbringt.
    Es ist einer dieser warmen Sommertage, an denen ich unwillkürlich von einer eigentümlichen Sehnsucht ergriffen werde. Einer Sehnsucht nach etwas, das ich gar nicht kenne. Es passiert, wenn sich die Sonne dem Horizont entgegenneigt, die Schatten länger werden und langsam über den Hügel kriechen, wenn die Besucher den Ausgängen zustreben und dabei Buggys vor sich her schieben, in denen erschöpfte Kinder dösen. Ich hab natürlich keine Ahnung, ob das stimmt, aber ich denke dann jedes Mal: So muss sich die Savanne anfühlen.
    »Pst.«
    Manchmal bilde ich mir sogar ein, sie riechen zu können: der warme Wind, wie er über die Ebene streicht, der heiße Sand, die trockenen Wurzeln. Und wenn ich die Augen schließe, dann spüre ich die Weite und höre das Rascheln der Schlangen, die sich durch den Busch winden.
    »Pssst!«
    Es ist Rufus, der mich aus meiner Sehnsucht befreit. Ich sehe ihn an. Er deutet in sämtliche Himmelsrichtungen zugleich.
    Schließlich sagt er: »Am Zaun.«
    Und tatsächlich: Da steht er. Phil. Unser Detektiv. Mit einer Ray-Ban, die sein halbes Gesicht verdeckt. Lehnt am Geländer, neben sich eine blaue Plastiktüte. So eine hätte ich auch gerne, denke ich. Brille, versteht sich. Nicht die Tüte. Nur verspiegelt müsste sie noch sein.
    »Ikea«, sagt Rufus.
    »Was?«, frage ich.
    »Steht auf der Tüte.«
    »Und was sagt uns das?«
    Er fuchtelt mit seinen Pfoten im Gesicht herum. »Weiß ich doch nicht.«
    »Entspann dich«, sage ich. »Hast du deine Zettel?«
    Mit zittriger Pfote zieht Rufus ein halbes Dutzend zusammengerollter, gelber, schweißdurchnässter Klebezettel unter der Achsel hervor. Das Wort Haftnotiz bekommt eine ganz neue Bedeutung. Ich stehe auf, strecke mich und schlendere zum Zaun hinunter. Rufus folgt mir mit zwei Schritten Abstand.
    »Du bist spät«, begrüße ich Phil.
    Der blickt ungläubig auf mich herab. Scheiße, denke ich. Entweder, das gestern war ein Zufallstreffer, oder er hat noch nicht genug getrunken, um mich zu verstehen. Letzteres würde mich wundern. So, wie sein Atmen riecht, haben sein Flachmann und er heute schon die ein oder andere interessante Unterhaltung geführt.
    »Ja, klar«, gibt er schließlich zur Antwort. »Weil du ja auch so wahnsinnig viel anderes zu tun hast, als auf mich zu warten.«
    Ich ignoriere seine Bemerkung und kann meine Pfote gerade noch davon abhalten … Ihr wisst schon. Stattdessen kratze ich mir die Ohrmuschel und blicke mich geschäftig um.
    Auch Phil sieht sich um. »Wenn mir jemand vor zwei Tagen gesagt hätte, dass ich meine Zeit mit Erdmännchen …« Er zieht seinen Flachmann aus der Innentasche, nimmt einen schnellen Schluck und lässt ihn wieder in seinem Leinensakko verschwinden. »Was soll’s.« Er sieht erst mich an, dann Rufus, dann wieder mich. Nehme ich jedenfalls an. Durch die Sonnenbrille ist es nicht zu erkennen. »Wie sieht’s aus: Habt ihr Informationen für mich?«
    »Wie sieht’s mit der Bezahlung aus?«, entgegne ich.
    Mit dem Rücken gegen das Geländer gelehnt, wartet Phil, bis ein Nachzügler-Rentnerpärchen an ihm vorbeigewackelt ist. Dann hievt er die blaue Tasche über den Zaun. Sofort stürzt Rufus sich auf die Tüte und verschwindet darin.
    »Tupperdosen«, stellt er fest. Sein Kopf taucht auf. »Acht Stück, unterschiedliche Größen.«
    »Spinnen, Schnecken, Larven, Tausendfüßler, drei Sorten Käfer, Raupen«, zählt Phil auf. »In der großen mit
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