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Ausgeflittert (Gesamtausgabe)

Ausgeflittert (Gesamtausgabe)

Titel: Ausgeflittert (Gesamtausgabe)
Autoren: Frieda Lamberti
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Station E vor der Zimmertür 207 stehe. Meine Beine sind flau. Wie soll ich bloß auf ihn reagieren? Ich hole zwei Mal tief Luft und klopfe kurz an die Tür und trete ein, ohne eine Antwort abzuwarten. Sophie liegt neben ihrem kranken Mann auf dem Bett und streichelt zärtlich seinen Kopf. Sie ist kreidebleich und hat tiefe, dunkle Augenringe. Beim Anblick meines unerwarteten Besuches huscht ihr ein leichtes Lächeln über das Gesicht.
   »Wenn ihr nicht zu mir kommt, komme ich halt zu euch«, sage ich und bin um eine aufmunternde Miene bemüht. Ich trete an das Krankenbett und erschrecke. Der Mann, der kraftlos auf dem weißen Laken liegt, hat nichts mehr mit der Person zu tun, die ich sechs Wochen zuvor in den Langzeiturlaub verabschiedet habe. Sein Körper ist schmal, sein Gesicht grau und eingefallen. Wir Schwestern umarmen uns fest und Sophie räumt ihren Platz. Sie nutzt die Ablösung, um Kaffee zu besorgen. Allein mit mir, ergreift Lars das Wort. In leisem Flüsterton bittet er mich um einen letzten Gefallen.
   »Pass auf meine Sophie auf. Sie säuft wie Loch. Wenn ich nicht mehr da bin, dann musst du dafür sorgen, dass sie wieder in die Spur kommt. Es wird mir leichter fallen zu gehen, wenn ich weiß, dass du dich um sie kümmerst. Bitte, lass sie die erste Zeit nicht allein.« Mir stockt der Atem und es laufen dicke Tränen über mein Gesicht.
   »Du bist und bleibst eine Heulsuse. Aber ich hab dich lieb. Also, versprichst du mir das?« Na klar, verspreche ich es.
   »Du kannst dich ganz fest auf mich verlassen.« Sophie kommt mit dem Kaffee zurück und stellt zwei Plastikbecher auf den Nachtschrank. Gezielt greift sie nach ihrer Handtasche und nimmt eine Flasche Brandy heraus. Völlig unberührt von meinen erstaunten Blicken, schenkt sie die halbgefüllten Becher bis zum Rand voll mit Hochprozentigem.
   »Anders ist diese Plörre nicht zu genießen«, erklärt sie ihre Fivty Fivty Mischung und wirft mir ihren Autoschlüssel zu. »Ich bleibe heute Nacht bei Lars. Wenn du magst, kannst du mir morgen früh frische Sachen bringen. Solltest du hungrig sein, bediene dich an unserem Kühlschrank. Ich habe gestern noch eine Suppe gekocht.«
   »Dose oder Tüte?«, lache ich sie aus. Es ist bekannt, dass sich die Kochkünste meiner Schwester auf das Erwärmen von Fertiggerichten beschränken.

Auf dem Parkplatz ziehe ich sofort meinen warmen Wintermantel aus. Der Kaffee mit Schuss hat mein Blut zum Kochen gebracht und es bilden sich erste Schweißperlen auf meinem Delkotee. Ich öffne den Kofferraum, um mein Gepäck zu verstauen und staune nicht schlecht. Vier leere Schnapsflaschen rollen mir von der Ladefläche entgegen. Lars Befürchtungen sind also nicht unberechtigt. Nach zwanzig Minuten erreiche ich das Fahrziel. Ich öffne das Tor zur Wohnanlage mit einem Sender, den Sophie im Handschuhfach ihres Wagens aufbewahrt. Vorbei an den weiß getünchten Reihenhäusern lenke ich den Wagen im Schritttempo in die Straße zu den Doppelhäusern. Ich parke den Wagen in der Auffahrt der Hausnummer 10 a und b. Ellen sieht mir beim Aussteigen vom Fenster aus zu und öffnet die Tür.
   »Lieb von dir, dass du gleich gekommen bist.« Sie drückt mich fest an sich und nimmt mir die große Reisetasche ab. »Bleibst du länger?«, fragt sie beim Anblick des großen Gepäcks. Ich nicke.
   »Seit wann trinkt Sophie diese harten Sachen?« Meine Mutter kennt die Antwort. Schuld daran ist der Onkologe Professor Dr. Schmiedel aus dem UK Eppendorf in Hamburg. Er hat der aufgelösten Sophie nach dem Überbringen des abschließenden Befundes geraten, die Finger von Beruhigungstabletten zu lassen und stattdessen lieber einen guten Cognac zu trinken.
   »Davon kommen Sie schneller wieder los, als von diesen teuflischen Tabletten«, soll sein Rat gewesen sein.
   »Warum hast du dein Handy ausgeschaltet. Der Faulpelz hat schon drei Mal angerufen, weil er dich nicht erreichen kann.« Ich bleibe die ehrliche Antwort schuldig. Noch bin ich nicht bereit, von meinem verlogenen, fremdgehenden Mistkerl zu berichten. Das wäre nur Wasser auf Ellens Mühlen. Für ihre Hasstiraden habe ich nun wirklich nicht die Nerven. Ich stelle mein Mobiltelefon an und schreibe Steffen eine Kurzmitteilung.

Bin gut gelandet. Nils geht es schlecht. Werde die nächsten Tage hier bleiben. Fahre du mit in den Schnee. Vergiss nicht, Bruno mitzunehmen. Frohe Weihnachten. Danach stelle ich das Telefon aus.

   »Lass uns kochen,
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