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Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Titel: Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
Autoren: Emily Byron
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nach einer Woche Abstinenz geschoben. Als er aber später über dem Hackbraten hing und, wie ich heute weiß, ängstlich mit der Gabel in seinem Gemüse stocherte, da fasste ich mir doch ein Herz und fragte, was nur mit ihm los sei. Beinahe erleichtert hatte er geschnauft und mir seinen Fehltritt gebeichtet. Was darauf folgte, waren, kurz gesagt, ein schlimmer Weinkrampf und ein Bratenfleck an meiner Wand.
    Schön blöd.
    Dann hatte ich geschrien, ich könne ihn nicht mehr ansehen, und er solle meine Wohnung verlassen. Das tat er auch.
    Und kam nie wieder.
    Später am Abend war ich vom Heulen benommen und verquollen ins Bett gekrochen. Der Katzenjammer am nächsten Morgen hatte jeder Beschreibung gespottet.
    Die heutigen Kopfschmerzen waren zwar nicht ganz so heftig, doch wollte ich es gar nicht erst so weit kommen lassen. Seit jenem Tag hatte ich vorsorglich immer ein paar Tabletten daheim. Grundregel für wirklich jede Frau – niemals ohne Aspirin. Erst recht, wenn sich ein Kerl den Weg in dein Herz gebahnt hat. Auf Aspirin konnte man sich immer verlassen, aber auf Männer … Na, lassen wir das.
    Woher kam nun diese Spannung in meinem Schädel, die sich unablässig ausbreitete, als wäre ich mit den Schläfen in einen Schraubstock gespannt? Die Arbeit war so wie immer gewesen, also konnte es nicht daran liegen. Nichts Besonderes war vorgefallen. Konnte es vielleicht etwas mit dem ominösen Fremden zu tun haben, der mir heute im Park begegnet war? Im Bus hatte ich noch überlegt, ob ich ihn nicht doch von irgendwoher kannte, und gegrübelt, was mir da überhaupt passiert war. Ein Fremder im Regen, der mir mit einem unwiderstehlichen Lächeln einen Knoten in die Eingeweide gezaubert hatte. Selbst jetzt, als ich nur an ihn dachte, spürte ich wieder den kleinen Kolibri im Magen flattern. Verdammt. Aline, wie alt bist du eigentlich? Du solltest dich doch eigentlich besser im Griff haben und dich nicht so mir nichts, dir nichts von einer Reihe blendend weißer Zähne und einem herzhaft männlichen Lachen derart aus der Fassung bringen lassen. Vom Aufwecken der kleinen Wildkatze mal ganz abgesehen.
    Die Wirkung des Aspirins ließ leider noch etwas auf sich warten. Deshalb verfrachtete ich mich mit einem Kühlpack, das ich in ein Handtuch gewickelt hatte, auf die Couch. Mein Handy legte ich vorsichtshalber auf den Boden, nur für den Fall, dass ich einschlief. Ich hatte keinen Wecker, das erledigte das kleine pinkfarbene Telefon für mich. Oh, schon gemerkt? – Ich hatte eine Vorliebe für Pink. So Frau, so Klischee …
    Jeder hatte so seine Macken.
    Und meine waren eben pink.
    Oder männlich.
    Oder beides, wie im Sommer vor zwei Jahren, aber das gehört hier jetzt nicht hin.
    Die Kälte der Eispackung auf meiner Stirn fraß sich schnell schmerzlindernd durch meine Stirn, und ich schloss die Augen, um wieder meine allseits bekannte Privatshow zu sehen. Wie oft hatte ich bereits in meinem Freundes- und Bekanntenkreis herumgefragt, ob jemand so etwas in der Art auch kannte, und war doch immer auf Unverständnis und Ratlosigkeit gestoßen. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich nicht nur Schwarz, nein, ich sah eine Explosion von Tausenden kleiner gelber, grüner und roter Lichtpunkte, die in Hochgeschwindigkeit umherschwirrten und sich nicht selten zu Gestalten formten, die entweder miteinander kämpften oder bedrohlich auf mich zurasten. Ja, ich wusste, wie sich das anhörte, konnte es aber nicht ändern. Das Ganze hatte mit meinem Eintritt in die Pubertät begonnen. Eines Nachts hatte ich einen schlimmen Albtraum. Ich erinnerte mich noch genau, wie ich im Schlaf dachte, dass sei alles kein Problem, ich müsse einfach nur aufwachen, und der Traum würde vorbei sein. Tatsächlich schlug ich hierauf die Augen in meinem stets vollkommen abgedunkelten Kinderzimmer auf – um mit Erschrecken festzustellen, dass der Traum weiterlief. Da dachte ich, ich würde noch schlafen, doch erst als ich es schließlich in allmählich aufkommender Panik schaffte, den Lichtschalter zu betätigen, war der Spuk vorbei. Und ich saß kerzengerade im Bett, hellwach und schweißgebadet. Ich hatte bis jetzt niemals jemandem von diesem Ereignis erzählt. Es war viel zu verunsichernd und beängstigend für mich. Und, mal ehrlich, wer hätte mich schon ernst genommen – ein früh pubertierendes, dickliches Kind mit Riesenminderwertigkeitskomplexen, das bei seinen Klassenkameraden aufgrund seiner guten Noten so beliebt war wie Fußpilz?
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