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Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Titel: Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
Autoren: Emily Byron
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schnell den Wasserkocher befüllte und anstellte. Eine Wärmflasche würde wahre Wunder wirken. Während das Wasser langsam zu kochen begann, drehte ich den Zweig samt dem daran befindlichen sonderbaren Präsent in meinen Händen und befühlte das dunkle Haar. Es war so weich und hatte einen wunderbaren Glanz. Meine Denkerfalte auf der Stirn weitete sich dagegen spürbar zum rauen Grand Canyon aus. Das alles ergab keinen Sinn. All die Fragen, die mir bereits auf dem Balkon durch meine Hirnwindungen geschossen waren, rotierten in meinem Kopf wie manche musikalische Endlosschleife einer Telefonhotline. Aber selbst bei einer Hotline bekam man irgendwann mal Antwort, während hier niemand den gedanklichen Hörer abnahm. Das machte mich allmählich wütend. Das und die Überlegung, was sich der Scherzkeks, der dahintersteckte, wohl dabei gedacht hatte, es nicht mal für nötig zu befinden, zumindest anständig an die Scheibe zu klopfen. Nein, stattdessen hatte er lieber einen Abgang auf Französisch hingelegt und kindisch kleine Steine geworfen. Wie alt war der Kerl, fünfzehn?
    Meine Wut kochte parallel zum Wasser hoch, sodass ich vor mich hin schimpfend meine Wärmflasche füllte und mich mit ihr auf die Couch verzog. Mit gut temperierten Füßen ließ es sich einfach besser denken. Die wohlige Wärme kroch leider nur langsam meine blau gefrorenen Füße hinauf, und je mehr ich mir das Hirn zermarterte, desto stinkiger wurde ich. Auch so eine Macke von mir: Wenn ich mir etwas nicht gleich erklären konnte, verunsicherte mich das zutiefst, und Verunsicherung konnte ich gar nicht leiden.
    Weil es bedeutete, dass ich über etwas keine Kontrolle besaß.
    Dass ich etwas, was mich betraf, völlig aus der Hand geben musste.
    Das ging mal gar nicht; schließlich konnte man meiner Meinung nach nur sich selber trauen. Diesen Umstand hatte ich schon frühzeitig erkennen müssen. In der Schule war ich einst eine pummelige Streberin mit null Sozialkontakten gewesen, die sich nichts sehnlicher wünschte als echte Freunde. Fürs Draufhauen und Hänseln war ich meinen Klassenkameraden immer willkommen, doch kaum war ihnen eingefallen, dass in Latein eine Hausaufgabe zu erledigen gewesen war, umgurrten sie mich mit den liebsten Worten, den freundlichsten Absichten und dem Versprechen, sie würden mich ab sofort in Ruhe lassen. Was sie dann auch taten. Und zwar genau so lange, bis sie abgeschrieben hatten. Kaum war das letzte Wort gekritzelt und das Heft zugeschlagen, fingen die Sticheleien wieder von vorne an. Kinder konnten so grausam sein.
    Ab da war mir klar geworden: Ich würde mich nie wieder auf das Wort eines anderen verlassen.
    Dann blieb einem wenigstens der Verrat erspart.
    Sechzehn Jahre später nun saß ich in einer kleinen, schnuckeligen Wohnung um genau zwei Uhr siebenunddreißig auf dem Sofa, eingemummelt in meine blaugelbe Lieblingsdecke, die Wärmflasche auf den Füßen und betrachtete weiterhin den kleinen Ast, den ich inzwischen auf den Couchtisch gelegt hatte. Ich wollte lieber ein bisschen Abstand zwischen mich und das Ding bringen. Wer konnte schon wissen – vielleicht war es ja gar kein Geschenk, sondern eine Art Platzhalter, in dem sich ein Fluch befand.
    Ha, ja, ein Fluch, sicher.
    Ich schalt mich innerlich wegen so viel Fantasie, oder sollte ich lieber Realitätsverlust sagen? Egal wie ich es drehte und wendete, ich konnte mir keinen Reim auf dieses Ding machen. Aber eines war sicher: Es sollte eine Botschaft sein.
    Aber was für eine?
    Verdammt, benutzte denn heutzutage niemand mehr Stift und Papier?
    Ein Brief im Briefkasten wäre mir wesentlich lieber gewesen. Oder ein schönes Kärtchen. So eins mit zwei schlafenden Welpen darauf. Ja, erwischt, ich liebte diese kitschigen Tierfotos. Verklagen Sie mich doch!
    Während ich mir also das Hirn runzlig dachte und sich als Resultat keine Erleuchtung einstellte, sich dafür aber langsam meine Kopfschmerzen wieder meldeten, kam ich zu dem Entschluss, ich sollte dringend eine Runde frische Luft tanken. Mittlerweile war es drei Uhr in der Frühe, und auf den Straßen war keine Menschenseele mehr unterwegs. Ein bisschen Bewegung würde nicht nur meinen Brummschädel vertreiben, sondern ihn auch mal ein wenig frei pusten. Frei pusten von dem ganzen Gedankenwirrwarr, der sich hinter meinen Augen angesammelt hatte und nun auf eben jene drückte, so als würden sie jeden Moment aus meinem Kopf herausfallen.
    Schnell schlüpfte ich in meine Jeans und die warmen
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