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Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)

Titel: Auserwählt – Die Linie der Ewigen (German Edition)
Autoren: Emily Byron
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werden, ich würde mich ohne zu zögern in seinem Wipfel verbarrikadieren und nicht eher weichen, bis das Vorhaben abgeblasen wäre. Darauf hätte ich jeden Eid geschworen.
    Mittlerweile war ich in der Nähe des Baumes angekommen, stieg ab und ging die restlichen Meter zu Fuß, nachdem ich meinen Drahtesel behutsam am Weg ins Gras gelegt hatte. Sofort hatte ich wieder klamme Schuhe. Wenigstens hatte es bisher noch kein einziges Mal geschneit; Schnee war so überhaupt nicht mein Ding. Vorsichtig, immer mal einen Blick über meine Schulter werfend, ging ich um den kräftigen Stamm herum, eine Hand stets die Rinde berührend. Sofort umwehte mich wieder dieser friedliche Hauch, dieses Gefühl von Heimat und Zu-Hause-Sein, sodass mein Herz endlich einen Gang zurückschalten konnte. Tief sog ich die kalte Luft ein, roch das Regenwasser auf den Blättern und die Erde unter meinen Füßen. Ich schloss die Augen und ließ meine Gefühle treiben. Freiheit, so roch grenzenlose Freiheit. Wie ein Wald voller Versprechungen mit einer Lichtung, funkelnd im Sternenglanz, und mit einem See tiefer Geheimnisse. Freiheit … „Eine unübliche Zeit für einen Ausflug, findest du nicht?“
    Der Schreck fuhr mir in die Glieder, mein Herzschlag setzte gefühlte fünf Minuten lang aus, und kalter Schweiß schoss mir aus den Poren. Ich riss meine Augen auf und blickte wie ein gehetztes Kaninchen hinter mich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Eine männliche Stimme, tief und brummend. Und dabei so sanft wie Kaschmir. Doch da war niemand. Weder in unmittelbarer Nähe noch an der kleinen Bank einige Meter weiter, die sich einsam an eine Laterne kuschelte. Hatte ich mir das etwa eingebildet? Himmel, so langsam brauchte ich wohl doch eine weiße Jacke, bei der man die Arme auf den Rücken binden konnte. Verwirrt blickte ich wieder nach vorne – um in das hinreißendste grüne Augenpaar einzutauchen, das ich je bei einem Mann gesehen hatte. Hätte ich mich nicht erneut zu Tode erschrocken, ich hätte mich in ihnen geradezu verlieren können. Ich realisierte sofort, dass er es war. Er, den ich gestern Abend an genau dieser Stelle im Regen hatte stehen sehen. Und offenbar ebenso der, der mich auf unerklärliche Art und Weise hierher gelockt zu haben schien. Wie hatte er das nur gemacht, von einer Sekunde auf die andere vor mir zu erscheinen? Seine Stimme war doch von ganz woanders her gekommen. Er lächelte leicht, als würde ihm sein kleines Verwirrspiel Freude bereiten. Trotz meiner sprunghaft um hundert Kilo schwerer gewordenen Angst, die mich fast zu lähmen drohte, managte ich ein ebenso kleines Lächeln. Das war schließlich die schönste Art, Zähne zu zeigen. Und Zähne konnten zudem ganz schön wehtun, wenn man sie richtig einsetzte.
    „Und Sie?“, entgegnete ich mit einer erstaunlich ruhigen Stimme. „Haben Sie nichts Besseres zu tun, als nachts jungen Frauen im Park aufzulauern?“ Prima, Aline, wenn er bis jetzt keine dumme Idee gehabt hatte – nun hatte er sie sicherlich. Sein Lächeln verbreiterte sich zu einem Grinsen.
    „Was, wenn dem so wäre?“
    „Dann sollten Sie sich lieber mal einen Fernseher kaufen.“ Super, ganz super, jetzt wurde ich auch noch frech. Doch die Worte purzelten einfach so aus mir raus, bevor ich überhaupt nachdenken konnte. Wenn ich Angst hatte, wurde ich immer defensiv. Er würde mir sicher gleich den Garaus machen. Doch stattdessen lachte er. Dieses wunderbare Lachen, das ich schon einmal vernommen hatte, so voll und fest, dass ich mich am liebsten in seine Lederjacke geschmiegt hätte, deren leichter Duft um meine Nase wehte. Er lachte immer weiter und sorgte dafür, dass meine Kolibrischar erneut ihre flinken Flügel schlagen ließ. Verdammt, wie machte er das bloß? Eine Etage tiefer erwachte bereits die Wildkatze, blieb aber vorerst noch liegen. Gott sei Dank verlieh mir meine Angst zumindest ein klein wenig Kontrolle über meine Libido, die seit zwei Jahren so brach lag wie Death Valley (nur ohne die über die Landschaft wehenden toten Gestrüppkugeln). Ja, so mau sah es bei mir aus. Während der Kerl lachte, nutzte ich die Gelegenheit, ihn näher zu betrachten. Langes, dunkles Haar fiel ihm über die Schultern, glatt und glänzend wie ein Wasserfall aus Seide. Seine Haut dagegen war bleich wie Elfenbein, wodurch das Katzengrün seiner Augen wie zwei leuchtende Smaragde in einer platinierten Ringfassung funkelten. Schmuck war eines meiner Hobbys. Ich erkannte einen echten Stein
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