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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz
Autoren: Laurence Rees
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ostpreußischen Hauptquartier Wolfsschanze und der folgenden Radikalisierung der Verfolgung und Ermordung der Juden.
    Es ist kaum zu vermitteln, mit welcher Begeisterung führende Nationalsozialisten einem Mann dienten, der in solchen Dimensionen zu träumen wagte. Hitler hatte davon geträumt, Frankreich innerhalb von Wochen niederzuwerfen – das Land, in dem die deutsche Armee im Ersten Weltkrieg jahrelang steckengeblieben war –, und es war ihm gelungen. Er hatte davon geträumt, die Sowjetunion zu erobern, und im Sommer und Herbst 1941 sah es fast so aus, als würde er gewinnen. Und er träumte davon, die Juden zu vernichten, was sich in gewisser Weise als die einfachste dieser Aufgaben erweisen sollte.
    Hitlers Ambitionen bewegten sich in imposanten Größenordnungen – aber sie waren alle destruktiv, die »Endlösung« von der Idee her ganz besonders. Es ist von Bedeutung, daß 1940 zwei Nationalsozialisten, die in der Folge zu Führungspersönlichkeiten bei der Entwicklung und Durchführung der »Endlösung« werden sollten, jeder für sich bekannten, daß der Massenmord den »kulturellen Werten«, auf die beide Wert legten, zuwiderliefe. Heinrich Himmler schrieb, die »physische Ausrottung eines Volkes« sei »undeutsch«, und Reinhard Heydrich hielt fest, die biologische Vernichtung wäre »des deutschen Volkes als einer Kulturnation unwürdig«. 9 Aber im Lauf der folgenden 18 Monate wurde die »physische Ausrottung eines Volkes« genau die politische Linie, die sie sich zu eigen machten.
    Wenn man verfolgt, wie Hitler, Himmler, Heydrich und andere Führungspersönlichkeiten die »Endlösung« und Auschwitz schufen, bietet das Gelegenheit, einen dynamischen und radikalen Entscheidungsprozeß von großer Komplexität zu sehen. Es war kein ausgearbeiteter Plan von oben für das Verbrechen durchgesetzt worden und auch keiner von unten erdacht und nur von der Spitze akzeptiert worden. Es wurden nicht einzelne Nationalsozialisten durch grobe Drohungen genötigt, selbst zu morden. Nein, dies war ein gemeinsames Unternehmen von Tausenden von Menschen, die sich entschlossen, nicht nur teilzunehmen, sondern Initiativen zur Lösung des Problems beizutragen, wie man in nie zuvor versuchtem Ausmaß Menschen töten und ihre Leichen beseitigen könnte.
    Wenn wir den Weg nachvollziehen, den einerseits die Nationalsozialisten gingen und andererseits diejenigen, die sie verfolgten, gewinnen wir tiefe Einsicht in die Conditio humana . Und was wir da erfahren, ist meist nicht schön. In dieser Geschichte hat Leiden fast nie mit Erlösung zu tun. Obwohl es in einigen seltenen Fällen außergewöhnliche Menschen gegeben hat, die sich großartig verhalten haben, ist dies doch überwiegend eine Geschichte der Erniedrigungen. Man kann kaum umhin, sich dem Urteil von Else Baker anzuschließen, die im Alter von acht Jahren nach Auschwitz geschickt wurde: »Das Maß menschlicher Verderbtheit ist unendlich.« Wenn es aber einen Funken Hoffnung gibt, dann liegt er in der Familie als der stützenden Kraft. Heldentaten wurden von Menschen im Lager zugunsten von Vater, Mutter, Bruder, Schwester oder Kind vollbracht.
    Vielleicht zeigen Auschwitz und die »Endlösung« vor allem, mit welcher Macht die Umstände das Verhalten beeinflussen, in stärkerem Maße, als wir vielleicht wahrhaben wollen. Diese Auffassung bestätigt einer der zähesten und mutigsten Überlebenden der Todeslager, Toivi Blatt, der in Sobibór zur Arbeit gezwungen wurde und dann die Flucht wagte: »Ich bin gefragt worden«, sagt er, »›Was hast du gelernt?‹, und ich denke, für mich steht nur eines fest – niemand kennt sich selbst. Der nette Mensch auf der Straße, den du fragst, ›Wo ist die Nordstraße?‹, und der einen halben Block mit dir geht und sie dir zeigt und nett und freundlich ist. Dieser selbe Mensch könnte unter anderen Umständen ein richtiger Sadist sein. Niemand kennt sich selbst. Wir können alle gut oder schlecht sein in unterschiedlichen Situationen. Manchmal denke ich, wenn jemand richtig nett zu mir ist, ›Wie ist der in Sobibór?‹.« 10
    Diese Überlebenden (und wenn ich ehrlich sein soll, die Täter ebenso) haben mich gelehrt, daß menschliches Verhalten brüchig und unberechenbar ist und oft von den Umständen abhängt. Natürlich hat jeder einzelne die Wahl, wie er sich verhalten will, aber für viele Menschen sind die Umstände der entscheidende Faktor bei dieser Wahl. Sogar ungewöhnliche Persönlichkeiten – Adolf Hitler
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