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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz
Autoren: Laurence Rees
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Auschwitz als auch der »Endlösung« bei.
    Sinnvoll ist es auch, wenn man zu verstehen versucht, warum so viele der ehemaligen Nationalsozialisten, denen ich in den letzten 15 Jahren begegnet bin, lieber eine innere Rechtfertigung für ihre Verbrechen suchen (»ich fand das richtig«) als eine äußere (»es wurde mir befohlen«). Eine Erklärung ist sicher, daß die Nationalsozialisten sich bewußt auf längst bestehende Überzeugungen stützten. Antisemitismus existierte in Deutschland lange vor Adolf Hitler, und sehr viele Menschen gaben den Juden – zu Unrecht – die Schuld an Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg. Tatsächlich war das politische Programm der Nationalsozialisten Anfang der zwanziger Jahre schlicht nicht von dem zahlloser anderer nationalistischer rechter Gruppierungen zu unterscheiden. Hitler war kein originaler politischer Denker, was er mitbrachte, war die Originalität seiner Führerschaft. Als zu Beginn der dreißiger Jahre die Weltwirtschaftskrise Deutschland erfaßte, wandten sich Millionen Deutsche freiwillig den Nationalsozialisten zu, weil sie von ihnen eine Beseitigung der Mißstände erhofften. Bei den Wahlen 1932 wurde niemand gezwungen, für die Nationalsozialisten zu stimmen, trotzdem gelangten sie an die Macht und bauten diese im Rahmen der bestehenden Gesetze aus.
    Ein weiterer Grund dafür, daß so viele Menschen das NS-Glaubenssystem verinnerlichten, war die Arbeit von Joseph Goebbels 5 , dem erfolgreichsten Propagandisten des 20. Jahrhunderts. Im allgemeinen Bewußtsein wird er oft als plumper Polemiker abgetan, berüchtigt wegen des infamen Films Der ewige Jude , in dem Szenen mit Juden unterbrochen waren von Aufnahmen von Ratten. In Wirklichkeit war seine Arbeit großenteils viel raffinierter und hinterlistiger. Hitler war es, der sich für solche Haßfilme wie Der ewige Jude begeisterte; Goebbels mochte diese kümmerliche Methode nicht und zog den viel subtileren Jud Süß vor, ein Drama, in dem die schöne »arische« Jungfrau von einem Juden vergewaltigt wurde. Goebbels eigene Publikumsforschung (er war von dieser Wissenschaft besessen) zeigte, daß er recht hatte: Die Kinobesucher zogen Propagandafilme vor, in denen, wie er es ausdrückte, die Kunst nicht so sichtbar würde.
    Goebbels fand es besser, vorhandene Vorurteile des Publikums zu verstärken, als zu versuchen, jemandes Meinung zu ändern. Wenn es aber nötig war, die Ansichten der Deutschen zu verändern, war seine Methode die, »im Konvoi zu fahren – immer in der Geschwindigkeit des langsamsten Schiffes« 6 , und dann die Botschaft, die er dem Publikum nahebringen wollte, ständig zu wiederholen, in immer neuer Weise. Dabei versuchte er selten, die Zuschauer unter Druck zu setzen: Er zeigte Bilder und erzählte Geschichten, die gewöhnliche Deutsche zu den gewünschten Schlußfolgerungen führten; so ließ er sie in dem Glauben, sie seien von selbst darauf gekommen.
    In den dreißiger Jahren versuchte Hitler nicht oft, der Bevölkerung seine Politik gegen ihren Willen aufzuzwingen, und fand damit Goebbels’ Beifall. Sicher, es war ein radikales Regime, aber doch eines, das auf die Zustimmung der Mehrheit Wert legte und bei der Dynamik, die es sich wünschte, in großem Maß auf persönliche Initiativen von unten angewiesen war. Und das hieß wiederum, daß die Nationalsozialisten bei der Verfolgung der Juden vorsichtig vorgingen. Obwohl der Judenhaß für Hitler eine zentrale Rolle spielte, stellte er ihn bei den Wahlen Anfang 1933 nicht unverhohlen in den Vordergrund. Er verbarg seinen Antisemitismus nicht, aber er und die Nationalsozialisten betonten bewußt andere Dinge, so etwa den Wunsch, das »Unrecht von Versailles« wiedergutzumachen, den Arbeitslosen Arbeit zu verschaffen und ein Gefühl von Nationalstolz wiederherzustellen. Kurz nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, gab es den ersten Ausbruch von Gewalttätigkeit gegen die deutschen Juden, großenteils inszeniert von der SA. Dann kam der Boykott jüdischer Geschäfte (den der glühende Antisemit Goebbels unterstützte), aber der dauerte nur einen Tag. Die NSFührung sorgte sich um die öffentliche Meinung im In- wie im Ausland; vor allem wollte sie vermeiden, daß Deutschland wegen seines Antisemitismus zum Paria wurde. 1935 wurden dann die »Nürnberger Gesetze« erlassen, mit denen den Juden die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde, und 1938 wurden in der Pogromnacht, der sogenannten Kristallnacht, Synagogen in Brand gesteckt
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