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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz
Autoren: Laurence Rees
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wüßten, was sie taten. Das bedeutete natürlich, daß er, als Stalin gestorben war und der Kommunismus im Niedergang war, befreit weitermachen und die Vergangenheit hinter sich lassen konnte. Es kennzeichnet Stalin auch als grausamen, tyrannischen Diktator, für den es viele Parallelen in der Geschichte gibt, nicht zuletzt in unserer Zeit Saddam Hussein.
    Und dann bin ich japanischen Kriegsverbrechern begegnet, die einige der entsetzlichsten Greueltaten der neueren Geschichte begangen haben. Japanische Soldaten schlitzten in China schwangeren Frauen den Bauch auf und erstachen die Föten mit dem Bajonett, sie fesselten Bauern und benutzten sie zum Scheibenschießen; sie folterten Tausende von unschuldigen Menschen auf eine Weise, die den schlimmsten Praktiken der Gestapo gleichkommen, und sie führten lange vor Dr. Mengele und Auschwitz mörderische medizinische Experimente durch. Diese Menschen wurden für undurchschaubar gehalten. Aber bei näherer Betrachtung waren sie es nicht. Sie waren in einer höchst militaristischen Gesellschaft aufgewachsen und dann einer militärischen Ausbildung brutalster Art unterworfen worden; man hatte ihnen, seit sie Kinder waren, befohlen, ihren Kaiser (der auch ihr Oberkommandierender war) zu vergöttern, und sie lebten in einer Kultur, die den allzu menschlichen Wunsch, sich anzupassen, quasi zur Religion erhob. All das steckte in einem ehemaligen Soldaten, der mir erzählte, wie er aufgefordert worden war, an der Massenvergewaltigung einer chinesischen Frau teilzunehmen: Er hatte das weniger als Sexualakt betrachtet, denn als Zeichen, daß er endlich von der Gruppe akzeptiert worden war, deren Mitglieder ihn bis dahin zum Teil gnadenlos schikaniert hatten. Wie die sowjetischen Geheimpolizisten, die ich getroffen hatte, hatten diese Japaner versucht, ihre Taten fast ausschließlich mit Hinweisen auf von außen einwirkende Gründe zu rechtfertigen – das Regime selbst.
    Im Denken vieler NS-Kriegsverbrecher zeigt sich etwas anderes, und es ist in diesem Buch verkörpert in dem Interview mit Hans Friedrich, der zugibt, daß er als Mitglied einer SS-Einheit im Osten selbst Juden erschossen hat. Noch heute, wo das NS-Regime seit langem besiegt ist, tut ihm nicht leid, was er getan hat. Es wäre leicht für ihn, sich hinter dem »Befehlsnotstand« zu verstecken oder zu sagen: »Ich stand zu sehr unter dem Einfluß der Propaganda«, aber seine innersten Überzeugungen sind so stark, daß er das nicht tut. Er hat es damals für richtig gehalten, Juden zu erschießen, und tut es allem Anschein nach auch heute noch. Es ist eine ekelhafte, verabscheuungswürdige Haltung – aber sie fasziniert mich. Und zeitgenössische Aussagen zeigen, daß er damit nicht allein ist. In den Unterlagen von Auschwitz ist zum Beispiel nicht ein einziger Fall belegt, wo ein SS-Mann belangt worden wäre, weil er sich geweigert hätte, an den Tötungen teilzunehmen. Dagegen gibt es viel Material, das zeigt, daß das eigentliche Problem mit der Disziplin im Lager – aus der Sicht der SS-Führung – Diebstahl war. Gewöhnliche SS-Männer scheinen mit der NS-Führung einig gewesen zu sein, daß es richtig war, die Juden zu töten, aber mit diesem Grundsatz Himmlers, der ihnen persönliche Bereicherung versagte, waren sie nicht einverstanden. Und die Strafen für einen SS-Mann, der beim Stehlen erwischt worden war, konnten drakonisch sein – sicherlich schlimmer als dafür, daß sich jemand weigerte, sich aktiv am Töten zu beteiligen.
    So bin ich, nicht nur durch die Interviews, sondern auch durch nachfolgende Forschungen 4 in den Archiven und Gespräche mit Wissenschaftlern zu dem Schluß gekommen, daß einzelne, die innerhalb des NS-Systems Verbrechen begangen hatten, eher die persönliche Verantwortung für ihre Taten übernahmen, als es bei Kriegsverbrechern, die Stalin oder Hirohito dienten, der Fall war. Natürlich ist das eine Verallgemeinerung, und es wird in jedem Regime Menschen geben, die diesem Muster nicht entsprechen. Diesen Regimen war ja auch viel gemeinsam – nicht zuletzt die Abhängigkeit von einer intensiven ideologischen Propaganda von oben. Aber als Verallgemeinerung ist das brauchbar, was um so merkwürdiger ist, als die SS streng trainiert wurde und das Klischee vom deutschen Soldaten als Roboter weit verbreitet ist. Wie wir sehen werden, trug die Neigung einzelner Nationalsozialisten, die Verbrechen begangen haben, um persönlich Herr der Lage zu bleiben, zur Entwicklung sowohl von
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