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Auschwitz

Auschwitz

Titel: Auschwitz
Autoren: Laurence Rees
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und Tausende von Juden eingesperrt – das waren die auffallendsten weiteren Maßnahmen gegen die Juden vor dem Krieg. Aber insgesamt wurde die antisemitische Politik in vielen kleinen Schritten entwickelt, und viele Juden versuchten in den dreißiger Jahren in Hitler-Deutschland durchzuhalten. Die antijüdische Propaganda wurde (ausgenommen fanatische Randerscheinungen wie Julius Streicher mit seinem schändlichen Schmutzblatt Der Stürmer ) mit Goebbels’ Geschwindigkeit des »langsamsten Schiffes« fortgesetzt, und keiner der offen antisemitischen Filme wie Der ewige Jude oder Jud Süß erschien vor dem Krieg.
    Die Vorstellung, daß die Nationalsozialisten in vielen kleinen Schritten gegen die Juden vorgingen, läuft dem verständlichen Wunsch zuwider, für die wesentliche Entscheidung für die »Endlösung« und die Gaskammern von Auschwitz einen bestimmten Zeitpunkt herauszustellen. Aber so einfach ist das nicht. Es dauerte Jahre, bis die Tötungsmaschinerie so perfektioniert war, daß Eisenbahnverbindungen jüdische Familien fast bis ans Krematorium brachten. Ein Historiker hat das Verhalten des NS-Regimes als »kumulative Radikalisierung« 7 bezeichnet, wo eine Entscheidung oft in eine Krise führte, die noch radikalere Entscheidungen verlangte. Ein Beispiel dafür, wie sich Ereignisse zu einer Katastrophe aufschaukeln können, war der Nahrungsmangel im Ghetto von Łódz im Sommer 1941. Die Lage war so, daß ein NS-Funktionär anfragte: »Es ist ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen. Auf jeden Fall wäre dies angenehmer, als sie verhungern zu lassen.« 8 So wird der Gedanke der Vernichtung als Akt der Menschlichkeit vorgestellt. Wobei man natürlich nicht vergessen sollte, daß die Politik der NS-Führung diese Lebensmittelkrise im Ghetto von Łódz überhaupt erst heraufbeschworen hatte.
    Das soll nicht heißen, daß Hitler nicht für das Verbrechen verantwortlich war – das war er! –, aber er war verantwortlich in viel unheilvollerer Weise als der, daß er etwa seine Untergebenen an einem bestimmten Tag zusammengerufen und ihnen seinen Beschluß aufgezwungen hätte. Alle maßgeblichen Nationalsozialisten wußten, daß ihr »Führer« eines bei der politischen Arbeit besonders schätzte: Radikalismus. Hitler hat einmal gesagt, er hätte es gern, wenn seine Generäle wie Hunde an der Leine zerrten (aber genau da enttäuschten sie ihn meist). Seine Vorliebe für die Radikalität sowie seine Methode, innerhalb der nationalsozialistischen Führung die Konkurrenz zu fördern, indem er oft zwei Leuten mehr oder weniger dieselbe Aufgabe stellte, bewirkten eine erhebliche Dynamik in Politik und Verwaltung – und eine starke innere Instabilität. Jeder wußte, wie Hitler die Juden haßte, jeder hatte 1939 seine Rede im Reichstag gehört, in der er die »Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa« androhte für den Fall, daß es ihnen gelingen sollte, »die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen«. Jeder in der NS-Führung wußte, welche Art von Maßnahmen gegenüber den Juden er vorschlagen mußte – je radikaler, desto besser.
    Hitler war während des Zweiten Weltkriegs sehr in Anspruch genommen von einer Aufgabe: dem Versuch, ihn zu gewinnen. Er beschäftigte sich weniger mit der »Judenfrage« als mit der komplizierten militärischen Strategie. Seine Haltung in der Judenpolitik entsprach wahrscheinlich den Instruktionen, die er den Gauleitern von Danzig, Westpreußen und dem Warthegau gab, als er sagte, er wünschte ihre Gebiete »germanisiert« zu sehen, und wenn sie diese Aufgabe erledigt hätten, würde er keine Fragen stellen, wie sie das bewerkstelligt hätten. Man kann sich leicht vorstellen, daß Hitler im Dezember 1941 zu Himmler gesagt hat, er wünschte die »Vernichtung« der Juden, und er würde hinterher nicht nachfragen, wie er das gemacht hätte. Wir wissen nicht, ob so ein Gespräch so stattgefunden hat, denn Hitler bemühte sich während des Krieges, Himmler als Puffer zwischen sich und der Durchführung der »Endlösung« zu benutzen. Hitler kannte das Ausmaß des Verbrechens, das die Nationalsozialisten vorhatten, und wollte nicht, daß irgendein Schriftstück ihn damit in Verbindung brachte. Aber seine Handschrift ist überall zu erkennen – von seinen Haßreden bis zu dem engen Zusammenhang zwischen Himmlers Treffen mit Hitler in seinem
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