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Aus reiner Notwehr

Aus reiner Notwehr

Titel: Aus reiner Notwehr
Autoren: Karen Young
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wandte sich an die Krankenschwester mit der Krankenakte. “Celie, sehen Sie zu, dass Sie Dr. Steinberg auf dem Piepser erreichen.” Marv Steinberg war der Gynäkologe vom Dienst.
    Pete gab sich alle Mühe, Charlene Millers Schwester hinauszudrängen, doch sie verrenkte sich fast den Hals, um einen letzten Blick in die Kabine zu erhaschen. Eine Hand hatte sie auf den Mund gepresst; die andere hielt das Mädchen fest an ihrer Seite. “Sie hat mir doch gesagt, dass sie sich nicht mehr so von ihm behandeln lässt!”
    Zum Glück erschien Ricky, sprach der Frau gut zu, legte ihr den Arm um die Taille und schob sie mit sanfter Gewalt Richtung Besucherzimmer. Dem kleinen Mädchen lächelte sie dabei aufmunternd zu.
    Das Stethoskop auf den Bauch der Patientin gedrückt, schaute Kate ihnen nach, und dabei fiel ihr das Mädchen noch einmal auf. Irgendetwas war mit der Kleinen … Wie sie so verloren hinter ihrer Tante hertrottete, guckte sie ein letztes Mal über die Schulter und sah Kate mit großen, dunklen, viel zu ernsten Augen an. Dann wanderte ihr Blick hinüber zu ihrer Mutter. Keine Furcht, keine Neugierde, keine Erwartung; einfach … nichts. Dunkel regte sich eine Erinnerung tief in Kates Seele – ein Bild, welches jäh aufblitzte und dann ebenso schnell verblasste. Sie wehrte sich heftig dagegen. Diese merkwürdigen Aussetzer in ihrer Konzentration waren in jüngster Zeit immer häufiger vorgekommen. Sie schloss und öffnete die Augen ein paar Mal, um ihre Aufmerksamkeit wieder dem blutunterlaufenen Körper unter ihren Händen zuzuwenden, und versuchte festzustellen, ob der Herzschlag des Fötus zu hören war.
    “Wie ist ihr Blutdruck jetzt, Kelly?”
    Kelly schüttelte verneinend den Kopf. Eine andere Krankenschwester stellte die Verbindung zu dem Monitor her, und Charlenes Herzschlag wurde als grüne Linie auf dem Bildschirm sichtbar, schwach und unregelmäßig.
    “Sie ist nahe am Schock!”, warnte Kelly.
    “Oberschwester, holen Sie Dr. Steinberg!”, rief Kate. “Ich muss sie intubieren.” Sie entdeckte Jean Sharpe, die leitende Nachtschwester, und forderte ein Reanimationsteam an sowie einige Herzspezialisten auf Abruf, für alle Fälle. Jean Sharpes kurzes Kopfnicken zeigte, dass sie die Anweisung vorausgesehen hatte.
    Kate bewegte sich wieder zum Kopfende des Untersuchungstisches und führte vorsichtig den Tubus ein, durch welchen, wenn nötig, Charlene Miller beatmet werden würde. Als Ursache für den Blutdruckabfall konnte eine Blutung durch den abgestoßenen Fötus infrage kommen, aber sie war nicht davon überzeugt, dass dies der Fall war, denn dafür war die Blutung nicht stark genug. Kate vermutete eher, dass Charlenes Herz einen gefährlichen Stoß abbekommen hatte, als sie verprügelt worden war, und dies konnte eine perikardiale Tamponade verursachen – ein Blutpfropfen zwischen dem Herzmuskel und dem ihn umgebenden Herzkranz. Und wenn das Herz nicht voll arbeitete, führte dies zu einem sich verschlimmernden Schockzustand. Aber es waren auch innere Blutungen an anderen Stellen denkbar. Hier handelte es sich um einen jener schicksalhaften Fälle, bei denen sich ein Arzt ebenso sehr von seinem Gefühl leiten lassen musste wie von Erfahrung und Technologie.
    Kate beobachtete die Patientin mit wachsender Sorge, und plötzlich gab Kelly einen leisen Alarmlaut von sich. Sie legte das Stethoskop beiseite und fühlte nach der Halsschlagader der Frau. “Nichts mehr, Doktor. Sie stirbt uns!”
    Rasch forderte Kate Epinephrin, denn bei den Brustverletzungen der Patientin konnte Herzmassage zu einer Rippenfraktur und zu einem perforierten Lungenflügel führen. Die leitende Nachtschwester drückte ihr das Medikament mit geübter Bewegung in die griffbereite Hand und schaute zu, wie sie es verabreichte. Danach waren alle Augen wieder gespannt auf den Bildschirm gerichtet. Noch immer nichts.
    “Wo bleibt das Reanimationsteam?”, rief Kate aus.
    “Kommt”, erwiderte Jean Sharpe.
    Bewegung auf dem Korridor zeigte an, dass das Kardiologenteam im Anmarsch war. Während es sich einsatzbereit machte, stellte Kate fest, dass Charlenes Pupillen lichtstarr waren. Erneut überkam sie eine Welle von Besorgnis, und diese machte die Last der Verantwortung noch schwerer, die auf ihr ruhte, während ihr Team mit aller Kraft auf ein Ziel hin arbeitete: ein Menschenleben zu retten.
    “Darf ich mal!” Neal Winston, Neffe eines der bekanntesten Herzchirurgen in Boston, zwängte sich durch die um das Bett stehenden
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