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Aus Liebe zum Wahnsinn

Aus Liebe zum Wahnsinn

Titel: Aus Liebe zum Wahnsinn
Autoren: Georg Cadeggianini
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drinliegen, hat jeder gerade mal so viel Platz wie eine Buchseite hier breit ist. Viel Spaß.
     
    »Kompliziert.« Ich nicke Simon zu. »You nailed it.«
    »Erhöht man den Gin-Anteil«, hat Simon anfangs mit Bartender-Mimik gemeint, »schmeckt der Drink sauberer.« Sauberer, mir gefällt dieses Wort. Und es ist auch noch Enteneis übrig.
    »Früher war es doch so«, sage ich und merke, dass der Gin mein »r« weich gemacht hat, meine Seele wehleidig. »Eine Frau finden, die einen mag, einen Beruf haben, irgendeinen, ein Dach überm Kopf, keinen Krieg vor der Tür und ein paar gesunde Kinder, die man durchbringt.«
    »Früher?«, fragt Simon. »Früher, da gab es auch noch einen Kaiser.«
    »Auch wenn du das nicht hören willst: Gibt es nicht genug Grund im Gestern rumzuschmachten?«
    Simon schürzt die Lippen, wiegt den Kopf hin und her. »Finde ich nicht. Und überhaupt: Was hat das alles mit meiner Frage zu tun?«
    »Also früher«, beginne ich trotzig mit dem Larmoyanz-Wörtchen, »da reichte das doch: Frau und Bleibe, ein bisschen Beruf, ein bisschen Familie. Dann hatte man Glück. Dann war man doch zufrieden, Punkt.«
    Ich merke, dass ich mich in Fahrt geredet habe, dass ein kleiner waghalsiger Gedanke sich mit jedem Schluck, mit jedem Wort weiter zur Welterklärung hochjazzt: »Dann durfte man grinsen, vielleicht ein wenig häufiger als andere, dankbar sein. Dann hatte man ein gutes Leben, ja. Gratulation, toll. Der Nächste, bitte! Oder?«
    Simon winkt ab: »Das ist doch ewig her.«
    »Sage ich doch. Klar ist das heute anders. Genau das ist ja das Problem.«
    »Heute ist
alles
anders. Heute sind wir frei.«
    Ich gönne mir einen tüchtigen Schluck. »Da hast du verdammt recht. Frei. Nicht mehr den Umständen ausgeliefert. Frei. Wir haben unser Glück selbst in der Hand, es steht uns ja alles offen.«
    »Ja. Und ist das nicht wunderbar so?« Er prostet mir zu. »Tokio oder Travemünde.«
    »Genau. Sich hier Partys um die Ohren hauen oder sich dort um die siechenden Eltern kümmern? Wir sind frei.«
    »Was soll das heißen? Was meinst du?«
    »Es geht nicht mehr darum, einfach nur
Glück zu haben
, sondern
glücklich zu sein
, ständig neu
zu werden

    »Ja und? Warum denn auch nicht? Nutze doch die Freiheit, statt sie madig zu reden.«
    Ich schaue ins Glas, schweige. Dieser Gimlet – plötzlich denke ich an Klostein. Komisch, wenn die Kopie plötzlich das Original frisst. Ursprünglich wurden Reinigungsmittel mit Limettenduft versetzt, um das Frische von der Limette zu kopieren. Und jetzt nippe ich hier am Limettendrink und denke an Klostein.
    »Die Freiheit kippt«, sage ich. »Sie hat Schlagseite bekommen. Wir leben schon längst in einer Glücksdiktatur. Beruf, Kinder, Freizeit, Partnerschaft, selbst das Alter – alles muss glücklich sein und machen.«
    »Und? Ist das so unmenschlich? Jeder will nun mal das Beste. Und jeder hat genau einen Schuss: Das eigene Leben.«
    Mittlerweile perlen Simons Sätze einfach an mir ab. Ich benutze sie nur noch als Verschnaufpausen, um mich zu sammeln, um noch mehr zu trinken. Und dann setze ich wieder an.
    »Alles muss glücklich machen. Zeitgleich haben wir den Preis nach oben getrieben: Wer nicht glücklich ist, hat nicht einfach nur einen nicht ganz so tollen Job, ist nicht einfach nur ein bisschen unglücklich verheiratet, hat nicht einfach nur ein paar Probleme mit den Kindern.
Wer nicht glücklich ist, hat versagt.
Er hat sein Leben versaut, die Talente verspielt. Er enttäuscht.«
    Simon schaut mich scharf an, ein Gesicht, das sich zu fragen scheint, an welchen Fachmann er das Gegenüber wohl überweisen könnte. Ob man da medikamentös was machen sollte? Müsste?
    Ich lasse mich nicht abbringen. »Willkommen im Komparativ!«, brülle ich ihn an. »Wer zufrieden ist, weiß bloß nicht, was es alles gibt, was er alles verpasst. Wir alle stehen in der Pflicht zum Glücklichsein.«
    Simon schaut gar nicht glücklich. Ich japse, suche in seinem Gesicht nach irgendeiner Form von Bestätigung. »Es gibt kein Satt, kein Fertig mehr. Da ist kein …«
    »Stopp.« Auch Simon ist jetzt laut. »Mit was kannst du denn aufwarten? Willst du mir erzählen, dass du etwa nicht glücklich sein willst? Hast du irgendwas anderes anzubieten, als dieses selbstmitleidige Gejammer?«
    Ich sehe ihn an. Meine Lidschläge sind schwer und lang. Auf einmal ist es still. Ja, was zur Hölle kann ich eigentlich anbieten? Mein Kopf ist leer und voll zugleich. Die Klosteine klackern im
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